50 Jahre auf der Bühne 50 Jahre auf der Bühne: Erste Probe in der Backstube
Dessau/MZ. - Doch noch muss die 70-jährige Wahl-Dessauerin nicht nach einem Taschentuch greifen. Ihr Herz wird erst Ende Januar schneller schlagen, wenn Münchs Schützlinge ihren ersten großen Auftritt zur Galasitzung haben. Bis dahin wird geprobt, gibt Ingelore Wernecke-Münch wöchentlich den Tänzerinnen Anweisungen, korrigiert, empfiehlt, zeigt, lobt und schont sich dabei nicht. Zehn Tänze aus der Zeit der Gelb-Roten werden die Mädchen zur 50. Session darbieten. Zehn Tänze in zwölf Minuten - "wir mussten ganz schön tüfteln", freut sich die Tanzlehrerin über das Ergebnis.
Hunderte Dessauer Kinder hat Ingelore Wernecke-Münch über Jahrzehnte für das Tanzen begeistern können. Weshalb sie noch immer auf der Bühne steht, "das liegt vermutlich an den magischen Zahlen", sagt sie nachdenklich. 70 - 40 - 50 sind für die zierliche Frau mit dem dezent-roten Pagenkopf nicht irgend welche Maße, sondern ganz persönliche Lebensdaten: Den 70. Geburtstag konnte Ingelore Wernecke-Münch in diesem Jahr feiern. Vor 40 Jahren ist sie mit den Gelb-Roten einen Pakt eingegangen, der bis heute hält. Sie unterrichtete über viele Jahre alle Tänzer, heute nur noch zwei Gruppen. Und vor 50 Jahren stand Ingelore Wernecke-Münch zum ersten Mal als Tänzerin auf der Bühne eines Theaters.
Die halbwüchsige Konditorstochter aus Osterfeld bei Zeitz begeisterte sich für das Ballett. "Meine Eltern haben mir abgeraten, doch ich war unbelehrbar", erinnert sie sich an Szenen, als sie in der leeren Backstube erste Drehungen probte, als sie sich im Freien an einen ersten Überschlag wagte. Für das 15-jährige Mädchen stand längt fest: "Ich will Tänzerin werden." Es war nicht irgendeine Schwärmerei, das merkten die Eltern bald und ermöglichten privaten Ballettunterricht für ihr Kind, das schließlich nach Ausbildung und einjährigem Praktikum sein erstes Engagement in Borna erhielt und zwei Jahre später an der Landesoper Dresden engagiert wurde.
In Dvoraks "Rusalka" tanzte sie ebenso wie in Wagners "Tannhäuser", bis sie sich entscheiden musste für die Bühne in Dresden oder die Liebe, die in Borna zurück geblieben war. Die 22-Jährige war hin und her gerissen, hat "ihre Entscheidung später aber nie bereut".
Über Borna und Riesa kam die spätere Tanzpädagogin Anfang der 60er Jahre nach Dessau. Dass eine Tänzerin in der Stadt lebt, hat sich schnell herum gesprochen. Die junge Frau übernimmt das Konsumballett, das schließlich bis in die 90er Jahre besteht. Mehrere Jahre war Ingelore Wernecke Pädagogin an der Musikschule Dessau und leitete die Klasse für künstlerischen Tanz. In dieser Zeit hat sie auch Gret Palucca kennen und schätzen gelernt, absolvierte reichlich Weiterbildungen, um immer auf dem neuesten Stand zu bleiben.
Die Jahre sind viel zu schnell vergangen", schaut Ingelore Wernecke-Münch heute mit Wehmut zurück. Nach dem Tod ihres zweiten Mannes im Februar hatte sie keine Ambitionen zum Tanzen mehr. Dass sie dennoch wieder mit der großen Tanzgruppe und den Kindern in unterschiedlichsten Sälen der Stadt probt, ist teilweise den jungen Tänzerinnen zu verdanken.
"Oft wird über die Jugend gemeckert. Ich kann das nicht mittragen", sagt Ingelore Wernecke und schildert "mit welchem Feingefühl" die Mädchen gekommen waren, um sie wieder auf die Probebühne zu holen.
"Habe ich das richtig gemacht?", fragt Ingelore Wernecke-Münch sich immer wieder: Spätestens wenn das Taschentuch in ihren Händen wieder feucht ist, wird sie die Antwort kennen.