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Turbulente Jahre 150 Jahre Werft Roßlau: Von der Schiffswerft zum Experten für schweren Stahlbau

Von Silvia Bürkmann 07.09.2016, 10:41
In Blaumann und Anzug - der 66-jährige Horst Danke hat 50 Jahre Werftgeschichte mitgeschrieben.
In Blaumann und Anzug - der 66-jährige Horst Danke hat 50 Jahre Werftgeschichte mitgeschrieben. Sebastian

Roßlau - Der Gründungstag ist nicht urkundlich erwähnt. „Der 9. September ist frei Hand festgesetzt worden“, sagt Horst Danke mit gelassenem Schulterzucken.

Er passte auch gut zum Abschluss der Hochwasserschutzmaßnahme, wo nach einem Jahr Bauzeit am 1. September die neue Spundwand abgenommen wurde.

Vom Lehrling in den Chefsessel

Mit Tagen und Jahreszahlen sieht es der Werftchef „nicht so eng“. Wohl aber mit Zentimetern und Terminen. Von den insgesamt 150 Roßlauer Werftjahren hat Danke genau 50 selbst mitgeschultert.

Als Lehrling, Facharbeiter, Vorarbeiter, Meister und Abteilungsleiter. Seit 2010 dann auf dem Chefsessel als Geschäftsführer der RSW Roßlauer Schiffswerft.

Der 150. Geburtstag des Traditionsunternehmens wird am Freitag mit einer Festveranstaltung und am Sonnabend mit einem „Tag der offenen Tür“ in der Roßlauer Schiffswerft groß gefeiert.

Mit 16 Jahren in der Lehrwerkstatt

Horst Danke, gebürtiger Ur-Roßlauer, hat mit 16 Jahren als Schiffbauschlosser-Stift hier angefangen. In der Tasche Mutters Stullenpaket und gute Wünsche für den neuen Lebensabschnitt.

„Der aufgeschnittene Bratklops hat mich wieder aufgebaut. Denn in der Lehrwerkstatt hab ich mich nach endlosem Feilen am Schraubstock schon gefragt, worauf ich mich da eingelassen habe.“

Diese frühe Erinnerung blieb haften. Wurde aber nicht weiter vertieft. Der Junge fand Gefallen an dem großen Betrieb und gehörte zu den ersten seiner Klasse, die von der Lehrwerkstatt in der Bernsdorfer Straße auf die Elbebrücke flitzten, um dort die beste Sicht auf den nächsten Stapellauf zu haben. „Mann, waren das große Kähne.“

Die schlimmsten Wochen der Werftgeschichte

Das letzte große Staunen auf der Elbebrücke erlebte Roßlau im März 1993, als das Küstenmotorschiff „Saar Madrid“ vom Stapel lief.

In der Werftstraße hatte längst die Treuhand die Geschäfte in die Hand genommen. Die Europäische Union hatte die See-Tonnagen-Subventionen für die ostdeutschen Werften den Firmen an der Ostseeküste (Rostock, Wismar, Stralsund, Wolgast) zugesprochen, die Binnenwerften gingen leer aus.

Wenig später begann der Buschfunk zu raunen, das Gerücht wuchs sich aus zum Flächenbrand: „Die machen uns zum Jahresende dicht!“

Diese Wochen und Monate nennt Horst Danke heute die schlimmsten seiner eigenen Werftgeschichte. Ein paar Aufträge für Kräne hatte Werksdirektor Gieseler noch an Land gezogen, dann sollte „Schicht im Schacht“ sein.

Die Privatisierung der Roßlauer Schiffswerft

Protestmärsche, Straßensperrungen, Unterschriftensammlungen wogten durch die Elbestadt. Die Unternehmen vom Gewerbeverein 1906 zogen genauso mit wie die Abgeordneten aus dem Stadtrat und die Verwaltung im Rathaus.

Die IHK nahm die Schiffswerft mit den Hunderten bedrohten Arbeitsplätzen auf den Schirm. Und es wurde weiter gesucht und verhandelt.

Hinter verschlossenen Türen in Roßlau, Berlin und Bremerhaven saßen 1994 dann die Schiffbau-Unternehmer Heinrich Rönner und Dieter Petram am Tisch und kamen zum Vertragsabschluss. Die Roßlauer Schiffswerft war privatisiert.

1997 kam der Durchbruch

Die Werftentwicklung blieb in der Folge turbulent. Angeschoben wurde ein strikter Strukturwandel. Statt Schiffbau nun schwerer Wasserbau und Stahlbau. Jetzt rückten Kräne, Schleusen oder Brücken auf die Produkteliste der Werft.

Der Wandel gereichte 1997 zum Durchbruch: Da nämlich stellte die Roßlauer Werft das 110 Meter lange und fast 1.000 Tonnen schwere Mittelteil für die Stahl-Autobahnbrücke Vockerode her.

Per Schiffsponton wurde der Stahlkoloss nach Vockerode geschleppt. Und wieder stand Horst Danke auf der Roßlauer Elbebrücke. Und sah voller Stolz zu, wie das Gesellenstück aus der Schiffswerft der neuen Generation stromauf Fahrt aufnahm.

Da hat der hochgewachsene Mann gleich noch ein paar Zentimeter zugelegt. „Das war wohl der glücklichste Werft-Moment: Die ganze Mannschaft hat gezeigt, was in ihr steckt.

Und pünktlich und in hoher Qualität ausgeliefert.“ In Vockerode konnte das Mittelteil für den Abschnitt in Fahrtrichtung Berlin „eingeschwommen“ werden. Und es wurde ad hoc zum Meisterstück.

Aufträge von Hannover bis Chile

Jetzt hatten die Roßlauer Schiff- und Stahlbauer einen Namen. Bekamen für die zweite Fahrbahnhälfte Richtung München gleich einen größeren Auftrag: Sowohl für das adäquate Mittelteil als auch die zwei je 30 Meter langen „Vorland-brücken“, die das Gelände vor dem Flusslauf überbrücken.

Von da an hatte die Roßlauer Schiffswerft den Fuß in der Tür, konnte für ihr junges Geschäftsfeld Aufträge akquirieren. Den Brückenteilen folgten Schleusentore an Neckar, Main und Mittellandkanal.

Krane wurden nachgefragt für die Erzförderung in Chile. Die Matterhorn Bahn fährt auf Y-Schwellen aus Roßlau, die S-Bahn und Straßenbahn in Hannover oder Köln auf gummi-umhausten „Flüsterschienen“.

„Das wär’ eine Lösung für das Quietsch-Eck“, meint Danke grinsend. Aber die Stadtwerke haben noch nicht gefragt. (mz)