Fast 30 DDR-Mark Was eine Kassette aus Wolfen mit 90 Minuten Spieldauer so besonders machte
Wolfen - Es gab einmal eine Zeit, in der die Leidenschaft für Musik mit Warten verbunden war, mit Hoffen und gut abgepassten Zeitpunkten. Dann nämlich, wenn das neue Lied aus dem Radio auf Kassette aufgenommen werden sollte. Auch die Länge war so eine Sache: denn Standard waren 60 Minuten.
Da ist der handliche, scheinbar ungenutzte Tonträger, der seinen Weg ins Industrie- und Filmmuseum (Ifm) gefunden hat, eine echte Rarität. „Die Kassette hat eine Spieldauer von 90 Minuten“, sagt Museumsleiter Sven Sachenbacher. Ein Privatmann aus Chemnitz hatte sich gemeldet und dem Museum die Bänder geschenkt.
Statt Eisenoxid wurde für die 90-minütige Variante Chromdioxid verwendet
Auf dem Etikett ist, typisch für Orwo-Kassetten, das Produktionsdatum gestempelt. Am 15. Juni 1990 war der Tonträger fertig, in der Endphase der DDR. Stolze 29,40 Mark sollte er kosten. „Das konnte man nicht einfach so vom Taschengeld bezahlen“, erklärt Sachenbacher. Die vergleichsweise hohen Kosten haben wohl auch dafür gesorgt, dass der Vorbesitzer die Kassette glücklicherweise nicht wegwarf. In der Dessauer Magnetbandfabrik, einem Teilbetrieb des VEB Filmfabrik Wolfen, wurde der Tonträger hergestellt. Statt Eisenoxid wurde für die 90-minütige Variante Chromdioxid verwendet.
Ab 1971 wurden bei Orwo die Audiokassetten hergestellt. „Sie haben die Hörgewohnheiten revolutioniert“, schätzt der Museumsleiter die Bedeutung der Tonträger ein. Bereits in den 40ern wurden in Wolfen Magnetbänder produziert, darauf fußt die Technik. Ähnlich funktioniert Film, nur eben mit Licht statt Magneten.
Das Aufnehmen von Liedern aus dem Radio wurde zum beliebten Hobby
Das nötige Zubehör kostete zu DDR-Zeiten allerdings wie die Kassetten eine ordentliche Stange Geld: 1.500 Mark. Wer Beziehungen in den Westen hatte, kam da vielleicht an etwas Günstigeres ran. Die Kassetten waren schließlich international genormt. Auch, weil sie in den Export kamen. Das Aufnehmen von Liedern aus dem Radio wurde zum beliebten Hobby.
Die Musikindustrie prophezeite schon damals ihren Untergang. Viel wichtiger war damals allerdings, die Kassetten untereinander weiterzugeben. Nicht nur Musik, sondern auch politische Sendungen aus dem Westradio wurden aufgenommen und über getauschte Tonträger verbreitet. Bei Grenzkontrollen mussten sich Einreisende sogar erklären, wenn im Radio eine Kassette eingelegt war. Richtig Ärger konnte es aber nicht nur an der Grenze geben, sondern auch bei Bandsalat. Aber dafür gab es zum Glück Reparatursets. (mz/Andrea Dittmar)