Vom Leben einer Hundertjährigen
BITTERFELD/MZ. - Es ist schon interessant, was da in dem "Kostenanschlag" vom 14. Juli 1909 geschrieben steht. Das Papier enthält eine Aufstellung über die Anzahl von Schulbänken und Kathedern, von Papierkästen, Stühlen und vielen anderen Dingen, die benötigt werden - für die "Mädchenvolksschule" in der Dessauer Straße von Bitterfeld, die wenige Monate später ihre Pforten öffnen soll.
Viele wertvolle Unterlagen
Dieses historische Schreiben ist nur eine von ganz vielen wertvollen Unterlagen, die von den Mädchen und Jungen der Arbeitsgemeinschaft Geschichte der Helene-Lange-Schule in mühevoller Arbeit zusammen getragen worden sind. Dass diese AG hier zu Beginn des vergangenen Schuljahres gegründet wurde, hat einen Grund: Bei der Sekundarschule "Helene Lange" handelt es sich um die einstige Mädchenvolksschule, die am 1. Dezember 1909 eingeweiht worden ist. Auch dieses Datum haben die 13- bis 15-jährigen AG-Mitglieder bei ihren Recherchen gefunden - veröffentlicht im damaligen Kreisblatt vom 2. Dezember 1909.
Fast einhundert Jahre sind seitdem vergangen. Ein Jubiläum, das natürlich hier würdig begangen werden soll - unter anderem mit einer Festwoche im Oktober (die MZ berichtete). Und bis dahin soll auch die Chronik vorliegen, deren Erstellung sich die Arbeitsgemeinschaft auf die Fahnen geschrieben hat.
"Ein Schuljahr reicht natürlich bei weitem nicht aus, um die Geschichte unserer Schule zu erforschen", sagt Petra Kreller, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Beate Apitzsch die Leitung übernommen hat. Beide sind Geschichtslehrerinnen und fanden in den bisherigen 7. und 8. Klassenstufen schnell Interessenten, die Lust zum Mitgestalten hatten.
Auch nächstes Jahr dabei
"Wir lernen dabei sehr viel über die Schule allgemein und über die Schule von früher", sagt Justin Fritzsche. Obwohl es manchmal ganz schön anstrengend sei, sich nach mehreren Stunden Unterricht auch nachmittags noch damit zu beschäftigen. Jeden Mittwoch treffen sich die sechs Mädchen und Jungen, zu denen noch Lucas Conrad, Anna Tscherny, Angelika Wolf, Steven Konrad und Benny Karich gehören. Dann wird hart gearbeitet. Und weil sie nach der Chronik weiter forschen wollen, steht für sie alle jetzt schon fest, dass sie auch im kommenden Schuljahr dabei bleiben werden.
"Die meiste Zeit haben wir in diesem ersten Jahr im Kreismuseum verbracht und alte Zeitungen durchforstet", erklärt Beate Apitzsch. Das war für die Schüler nicht ganz leicht, wie sie sagen, vor allem der alten Schrift wegen. "Doch es war sehr interessant", versichert Benny. "So konnten wir uns einen Überblick verschaffen von 1909 bis zur Gegenwart." Deshalb möchten sich alle besonders beim dortigen Archivar Steven Pick für die große Unterstützung bedanken. Auch im Stadtarchiv waren sie zu Gange und natürlich im Archiv der Schule selbst.
Und dort haben sie wahre "Schmuckstücke" gefunden. Riesige Schulabgangs- und Hauptbücher, bis in die dreißiger Jahre gehen die zurück. Alle Namen der damaligen Schülerinnen sind da zu lesen und Bemerkungen wie "mit Bedenken versetzt" oder "zugezogen aus Schlesien". "Diese Bücher vermitteln schon wertvolle Informationen von der damaligen Zeit", zeigt sich Petra Kreller beeindruckt, denn es gibt auch solche Hinweise über Aufenthalte in der Lungenheilstätte oder das Verziehen in den Westen Deutschlands.
Ungewöhnliche Fächer
Teilweise ungewöhnlich für die jetzigen Generationen dürften dabei auch einige der damals unterrichteten Fächer bzw. Verhaltensnoten klingen, die da zum Beispiel hießen Leibeserziehung, Naturkunde, Führung und Haltung oder Rechnen und Raumkunde. Hauswirtschaft und Religion indes sind dann schon wieder bekannter.
Bereichert wird das bisher zusammen getragene Material auch noch von ganz anderen Dingen. Von der ehemaligen Sportlehrerin Irmgard Bierbaum, die mehrere Generationen unterrichtet hat, wurde der Arbeitsgemeinschaft eine Mappe zur Verfügung gestellt, die viele alte Erinnerungen beinhaltet. Zeitungsausschnitte und Wettkampfprotokolle beispielsweise, Spartakiadeberichte und sogar ein original Autogramm der ehemaligen Schwimmerin Kornelia Ender, die ja bekanntlich aus Bitterfeld stammt.
Ähnliche Unterlagen gibt es aus dem Bereich Musik von der ehemaligen Lehrerin Lieselotte Boost. Nicht zuletzt konnte auch die heutige Schulleiterin Ingrid Appenrodt einiges beisteuern, schließlich war sie selbst auch schon Schülerin an der "Hela". Ganz stolz sind die jungen Historiker übrigens über das Grußwort, das ihnen Bitterfeld-Wolfens Oberbürgermeisterin Petra Wust für die Chronik schrieb - sie hatten sie bei einem Besuch darum gebeten.
Vieles andere wäre noch erwähnenswert. Die erste Schülerzeitung von der Zeit kurz nach der Wende zum Beispiel. Oder Fotos aus ganz verschiedenen Jahrgängen, die Lucas Conrad stolz präsentiert. Im Stadtarchiv waren sie gefunden worden, mussten natürlich kopiert werden - wie alles andere, was nun vorliegt. "Eine große Fleißarbeit", loben die beiden Lehrerinnen ihre Schützlinge.
Termin soll eingehalten werden
Jetzt machen alle erst einmal große Sommerferien, doch gleich danach gibt es wieder viel zu tun. Damit die Chronik pünktlich fertig wird - pünktlich zur großen Jubiläumswoche anlässlich "100 Jahre Helene-Lange-Schule Bitterfeld".