Vier Tage in quälender Ungewissheit
Kemberg/MZ. - Der junge Mann mit der kaffeebraunen Haut und den schwarzen Haaren genießt sein Glas Tee. Er lächelt in die Kamera und fühlt sich fernab der Heimat offensichtlich pudelwohl. Das Foto zeigt Roshan, knapp über 30 Jahre alt, im Sommer 2003 auf dem Balkon der Familie Newiger in Kemberg. Zwei Monate war der Mann aus Sri Lanka damals auf Einladung der Newigers in Deutschland, um Land und Leute kennenzulernen. "So wollten wir uns bei ihm für seine Gastfreundschaft bedanken", erzählt Hans-Joachim Newiger. Der Freiberufler atmet tief durch. "Zum Glück hat er die Flut überlebt. Das ist im Moment das wichtigste."
1999 hatten die Touristen aus Kemberg den freundlichen und zuvorkommenden Moslem in Beruwela an der Küste Sri Lankas zum ersten Mal getroffen. Roshan verdiente als Masseur seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie. Doch die Konkurrenz ist groß. Fast jedes Hotel bietet diesen Service seinen Gästen an. Roshan arbeitete am Strand in einer bescheidenen Holzhütte. Schnell baute sich ein Kontakt zwischen ihm und den Deutschen auf.
Die Freundschaft begann, als Roshan die Newigers mit in sein kleines Dorf nahm, um ihnen seine Familie vorzustellen. "Der Kontrast zwischen der modernen Hotelanlage und dem Dorf war kaum zu fassen. Aber trotz der ärmlichen Verhältnisse machten die Menschen auf uns einen ruhigen und zufriedenen Eindruck", erzählt Newiger. Fortan organisierten die Kemberger ihre Reisen mit einem Bekannten Roshans, übernachteten nur noch in einheimischen Hotels. Als Individualtouristen begann der Zauber Sri Lankas erst zu wirken.
Dann, am zweiten Weihnachtsfeiertag, überschlugen sich die Meldungen von der Erdbebenkatastrophe. Für die Newigers folgten vier quälende Tage der Ungewissheit. Mit der Zahl der Opfer und dem Ausmaß der Verwüstung stieg auch bei den Kembergern die Angst um ihre Freunde. Eine Angst, die die Kehle zuschnürte. Dann, endlich, der Hoffnungsschimmer: "Uns fiel ein Stein vom Herzen, als wir ihn am Telefon hatten." Roshan und sein jüngster Bruder, die sich am Strand aufhielten, konnten im letzten Moment vor den Wassermassen ins Landesinnere fliehen. Seine Existenzgrundlage wurde freilich fortgerissen. Die Holzhütte am Strand hatte gegen die Wucht des Meeres keine Chance. Auch das Wohnhaus wurde Opfer der Fluten. Die Mauern stehen zwar noch. Das wenige Hab und Gut aus den Zimmern trugen die Todeswellen jedoch fort. Die ersten Tage schliefen Roshan und seine Angehörigen unter freiem Himmel. Mittlerweile sind sie wieder in ihrem furchtbar zugerichteten Dorf zurück. Das Haus teilt er sich nun mit 20 anderen Leuten, die alles verloren haben.
Die Newigers reagierten schnell. Sie überwiesen Geld auf ein Konto, schickten Pakete mit Kleidern, Konserven und Hygieneartikeln in die Unglücksregion. Mit der Spendenbereitschaft der Kemberger, die ganz gezielt nach Roshan fragten, hatten sie freilich nicht gerechnet. "Überwältigend" finden sie die Resonanz, und dass die "Leute von sich aus an uns herangetreten sind". In der Gaststätte Fröhnel füllten Personal und Gäste eine Spendenbüchse. Die Kemberger Ortsgruppe der Arbeiterwohlfahrt hat eine Sammelaktion gestartet. Auch die Mitarbeiter von "Pflug e.V." aus Wittenberg, wo Gudrun Newiger arbeitet, spendeten uneigennützig. Sohn Michael fand offene Ohren und Geldbörsen bei Jugendlichen einer Silvesterfete. Und Tochter Beate organisierte kurzerhand ein Benefizkonzert in ihrem Seminar- und Gasthaus in der Nähe von Lüneburg.
"Wir sind dankbar, dass so viele mithelfen wollen, das Leid und die Not wenigstens etwas zu lindern." Drei Familien sollen von der finanziellen Unterstützung profitieren. "Es ist zwar unglaublich, welche Hilfsbereitschaft in der ganzen Welt zu erkennen ist. Aber wer weiß, wie lange es dauert, bis die Hilfe direkt vor Ort ist. So lange wollen und können wir nicht warten", sagt Hans-Joachim Newiger.
Sollte es die Situation zulassen, will Ehefrau Dagmar am 5. Februar nach Sri Lanka fliegen, um die Hilfsaktion vor Ort zu begleiten. Im Gepäck hat sie auch die Spenden der Kemberger Grundschule, die für eine Kindereinrichtung in der Nähe von Roshans Dorf gedacht ist.
Wer sich der Hilfe anschließen möchte, kann das nach wie vor tun. Telefonisch zu erreichen ist Familie Newiger unter 03 49 21 / 2 04 96.