Unterwegs am «Zehn-Ruten-Kolk» Unterwegs am «Zehn-Ruten-Kolk»: Pusseln auf der Parzelle mit Seeblick
Dabrun/MZ. - "Nichts als Schilf warhier damals", sagt Günter Lange und heftetden Blick auf die Wasserlandschaft. Mittenhinein hat er sich 1974 einen Bungalow gebaut- auf Stelzen, damit bei steigendem Pegeldas Wohnzimmer nicht zur Badewanne wird. Späterkonstruierte Lange noch einen Steg, auf demer weit hinaus gehen kann in den "Zehn-Ruten-Kolk".So heißt das Gewässer bei Dabrun unweit vonWittenberg. Und diesen Namen trägt auch derAngelverein, dem Lange seit Urzeiten angehört.
Insgesamt kuscheln sich in die Uferzone desKolks um die 30 Häuschen, größtenteils Pfahlbauten,eben wie bei Lange. Und genau wie dieser mitdem ersten warmen Tag eines jeden Jahres mindestensan den Wochenenden die Stadtwohnung in Wittenbergverlässt, zieht es auch Rosemarie und ErichWöbke aus Dabrun hinaus in die Natur. WieLange, der sich einst als Feuerwehrmann beider Wittenberger Berufsfeuerwehr verdingte,sind auch Wöbkes im (Un)Ruhestand und pusselnnun munter in ihrem Garten vor sich hin. Einigesvom Gemüse ist bereits aufgelaufen. Es riechtnach warmer Erde. Aus dem Gewächshaus, indem Erich Wöbke Gurken zieht und Katze Julchennormalerweise den Tag verdöst, schlägt demNeugierigen erdrückende Hitze entgegen.
Alles bei Wöbkes ist unheimlich gepflegt.Die Akkuratesse, mit der Wöbke bei der Gartenarbeitebenso vorgeht wie beim Angeln, verrät denWissenschaftler in ihm. Physik hat er malstudiert. Bis 1990 lehrte der Professor ander Militärakademie in Dresden. Jetzt ziehter Mohrrüben und wirft die Rute aus nach Zander,Hecht und Aal. "Dresden ist schön, wenn manda nicht wohnen muss", erinnert er sich anSmog und dicke Luft in Elbflorenz.
Auch Günter Lange kann von brennenden Augenund Ruß geschwärzter Wäsche auf der Leineerzählen. "Wir haben damals in Piesteritzgewohnt. Das war so dreckig dort", sagt er.Im Gegensatz zu anderen Gärten am Kolk liegtseiner etwas abseits, dem Acker zugewandt.Das ist aber auch der einzige Unterschied.Sorgfalt und penibel angelegte Beete bestimmenauch hier das Bild, und das ist in den übrigenGärten nicht anders.
Gleichwohl ist diese malerische Anlage andersals die typische Laubenkolonie, in der esbisweilen eng zugeht und Nadelbäume schonmal abgesägt werden, weil sie - so will eseine Verordnung für Kleingärten - eine bestimmteHöhe nicht überschreiten dürfen. Am "Zehn-Ruten-Kolk"dürfen Bäume - so scheint?s - noch in denHimmel wachsen. Auch sonst atmet dieses Refugiumeine angenehme Weite. Für Wöbkes war das nichtimmer so. Angefangen hat das Paar ehedem inäußerst beengten Verhältnissen in einem Zeltvor dem elterlichen Bungalow. Dafür habensie aber die Natur mit allen Sinnen erlebt.Was übrigens im Sinne des Erfinders der Schrebergärten,dem Leipziger Arzt und Pädagogen Daniel Schreber(1808-1861), gewesen sein dürfte.
Angesichts fortschreitender Industrialisierunghatte dieser dazu aufgerufen, Kinderspielplätzein der Natur zu errichten. Ende des 19. Jahrhundertsentstanden dann am Rande der riesigen SpielwiesenBeete für Blumen und Gemüse. Schließlich wurdenZäune um die Parzellen gezogen - und fertigwar der Schrebergarten. Doch egal ob Parzellemit Gartenzwerg oder Pfahlbau mit Seeblick:"Das Leben hier draußen ist Freude und Abwechslung."