Traditionelles Vorderlader-Silvesterschießen Traditionelles Vorderlader-Silvesterschießen: Die Brustwarze des Teufels wegrasiert
Gräfenhainichen/MZ. - Horst Scholz war der Held des Tages. Anfangs erreichte er am Sonnabend beim Silvesterschießen 77 Ringe und war damit unter den besten zehn Vorladerschützen. Dann hatte er beim Stechen die sicherste Hand. Das brachte ihm den Sieg sowie das Meisterschaftsabzeichen in Gold, dem gemalten Teufel auf der Ehrenscheibe jedoch wenig Gutes. Dem hatte Scholz eine Brustwarze wegrasiert.
War dies dem Sieger eine Genugtuung, zumal die Anwesenden jene Stelle auf der Scheibe als Zehn erkannten, freute sich das gesamte zur Gräfenhainichener Privilegierten Schützengilde gehörende Team auch über einen weiteren Erfolg. Ihm war es bei dem diesjährigen Ereignis auf dem Schießstand Jösigk gelungen, die positive Serie der Kemberger Mannen zu unterbrechen. Diese hatten vor zwei Jahren und im Vorjahr die meisten der ausgeschriebenen Abzeichen und Urkunden eingeheimst.
Nun aber war nur ein Kemberger unter den fünf Besten: Eberhard Haftkowsky. Er erzielte beim Stechen neun Ringe und bekam das Meisterschaftsabzeichen in Silber. Das bronzene ging an Jürgen Rothe vom Gräfenhainichener Team, der es ebenfalls mit einem Schuss auf neun Ringe gebracht hatte.
Jens John und Thomas Sagner - beide holten acht Ringe - kamen auf die Plätze vier und fünf und somit zu einer Urkunde. Der Gräfenhainichener Erfolg war nahezu perfekt. Die sportlich eingestellten Kemberger werteten den Wettbewerb ebenfalls als gelungen und schenkten den "Platzhirschen" ein Kilogramm Schwarzpulver. Ehe es dazu kam, mussten alle Akteure aber erst einmal auf glatten Wegen zum Schießstand Jösigk gelangen und dort fünf Probe- sowie zehn Wertungsschüsse auf die 50 Meter entfernten Scheiben abgeben.
Und die Besten zehn je einen Schuss auf die Ehrenscheibe mit dem Teufel, der gegen 9 Uhr noch völlig heil auf das wartete, was ihn später hart traf. Um diese Zeit war auf dem Schießstand erst wenig los.
Thomas Sagner, Zweiter Vorsitzender der Gräfenhainichener Gilde und als Organisator gefordert, hatte genug "Luft", um der MZ die Funktion eines Vorderladers zu erläutern. Er stellte dazu das Gewehr in eine Halterung, die einem Stiefelknecht recht ähnlich sieht. Dann schob er einen langen Pulvertrichter in den Lauf. Das in einer Glasröhre befindliche Schwarzpulver wurde eingefüllt, ein Filzstopfen folgte. Er wurde mit dem Ladestock nach unten geschoben. Danach gab Sagner etwas Geschossfett an die Lauföffnung, legte erst ein Schusspflaster und dann eine Kugel darauf. Wieder trat der Ladestock in Aktion.
Der Hahn wurde gespannt, auf das so genannte Piston kam das Zündhütchen - die ganze Prozedur artete in fast wissenschaftlicher Kleinarbeit aus. Doch dann schoss Sagner tatsächlich. Ein dumpfer Knall, eine Rauchwolke und natürlich ein Treffer. Drei Minuten habe man für einen Schuss, betonte Sagner. Die Preußen hätten es aber im Freien auf drei bis fünf Schüsse in der Minute gebracht. Dies etwa kurz nach Mitte des 18. Jahrhunderts.
So weit ging Rudolf Prochotta, Erster Vorsitzender der Gräfenhainichener Gilde, nicht in die Zeit zurück, als er über sein Gewehr sprach.
Das ist ein original schwedisches von 1913. Er habe es zum 55. Geburtstag von seinem Vater bekommen, dessen Geburtsjahr und Name nun als Dank auf der Waffe steht, sagte er. Sieger Horst Scholz verfügt wahrscheinlich über etwas Preisgünstigeres: eine selbst zusammengesetzte Bausatzflinte für gerade mal 169 Mark. "Der Lauf ist sehr gut!" betonte der Mann, der meinte, dass zum Siegestreffer vor allem auch Glück gehört. Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der Kemberger Gilde Günter Böhme, der im Vorjahr der Beste war.
Jetzt sei man mehr mit dem Bau einer großen Freiluftschießanlage als mit dem Training befasst, erklärte er. Es war eine Begegnung der netten Art, bei der unter die zehn Besten sieben vom Gräfenhainichener Team - darunter Antje Müller mit 77 Ringen - gelangten.
Speis und Trank mundeten allen, auch wenn manchem das Glück weniger hold war.