Rechtsextreme Straftaten Rechtsextreme Straftaten: Zunahme rechter Gewalt in Bitterfeld-Wolfen

Bitterfeld - Bitterfeld-Wolfen ist zum Schwerpunkt rechtsextremer Straf- und Gewalttaten in der Region Anhalt-Bitterfeld, Wittenberg und Dessau-Roßlau geworden. Zugleich ist die Stadt eine Hochburg für Aktivitäten wie Kundgebungen und Demonstrationen. Das haben gestern die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt und das mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus bilanziert. Insgesamt 21 politisch rechts motivierte Angriffe hat die Opferberatung im ersten Halbjahr für die Region erfasst. Das sind bereits jetzt drei Fälle mehr als im gesamten Vorjahr.
In den ersten sechs Monaten 17 Delikte gezählt
„Diese exorbitante Steigerung ist vor allem mit einer beispiellosen Straftatserie in Bitterfeld-Wolfen zu erklären“, so Marco Steckel von der Beratungsstelle. Allein in der Stadt seien in den ersten sechs Monaten 17 Delikte gezählt worden. In Dessau-Roßlau und Wittenberg wurden jeweils zwei Straftaten verzeichnet. Bei den Angriffen handelt es sich überwiegend um Körperverletzungen, hinzu kommen Brandstiftungen - eine erfolgte und eine versuchte -, Bedrohungen und Sachbeschädigungen. Im Ranking rechter Angriffe löst Anhalt-Bitterfeld den Landkreis Wittenberg an der Spitze ab.
Die Reichsbürgerbewegung habe sich laut Beratungsteam und Opferberatungsstelle „in Bitterfeld-Wolfen festgesetzt“, so Steffen Andersch. Deren Zusammensetzung sei im Ganzen heterogen.
„Die Ideologie ist antidemokratisch, menschenfeindlich, das Spektrum reicht von nationalistisch über rassistisch bis hin zu antisemitisch.“ Gemeinsam sei allen, so Andersch, „dass sie behaupten, die Bundesrepublik Deutschland existiere nicht und das ,Deutsche Reich’ würde weiterhin fortbestehen“.
„In Bitterfeld-Wolfen haben wir es mit einer neonazistischen Offensive zu tun, man könnte auch von rechtem Terror sprechen“, so Marco Steckel von der Beratungsstelle. „Das Ausmaß und die Qualität der Angriffe kenne ich nur aus den 90er Jahren. Bewaffnete und vermummte Neonazis dringen in Wohnungen von Mitgliedern der linken Szene ein, bedrohen und verprügeln, schlagen auf der Straße mit Quarzsandhandschuhen und Baseballschlägern oder bewerfen Flüchtlinge mit Flaschen. Es gab Brandanschläge und Angriffe auf Abgeordnetenbüros.“
Zugleich markiert Anhalt-Bitterfeld laut Beratungsteam („Projekt Gegenpart“) gegen Rechtsextremismus erstmals die Spitze bei Ereignissen mit rechtsextremem Hintergrund insgesamt. In dieser Gesamtstatistik werden auch Kundgebungen, Demonstrationen und Propagandadelikte aufgelistet. Von 100 Meldungen entfallen 50 auf den Landkreis (erstes Halbjahr 2014: 30). Für Dessau-Roßlau verzeichnet das Beratungsteam 23 Fälle, für Wittenberg 27. „Die zentrale Aktions- und Projektionsfläche verlagert sich eindeutig von Dessau-Roßlau nach Bitterfeld-Wolfen“, so Steffen Andersch. Ein Indiz dafür sei die Zahl der Kundgebungen und Demos. Zwar findet jährlich im März der größte Aufmarsch in Dessau statt, die meisten Demonstrationen waren mit acht jedoch in Bitterfeld zu verzeichnen (Dessau-Roßlau: 4, Wittenberg: 4).
Mehrere Kameradschaften treten öffentlich auf
Dabei sei auch zu beobachten, dass im Gegensatz zum Vorjahreszeitraum gleich mehrere Kameradschaften öffentlich auftreten, so Andersch. Zum einen hätten sich Neonazis aus Dessau-Roßlau und Umgebung unter dem Namen „Freie Nationalisten Dessau-Anhalt“ weiter vernetzt. Zum anderen traten erstmals die extrem rechten Vereinigungen „Freie Nationalisten Bitterfeld“ und „Brigade Bitterfeld“ in Aktion.
Die Ursachen für die „besorgniserregende Quantität und Qualität der Angriffe“ sieht Steckel auch im Zuzug von Kadern der rechtsextremen Parteien „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ in den Raum Bitterfeld. „Sie sind hoch anschlussfähig und auf empfängliches Klientel gestoßen. Man fand Plattformen.“ Es sei so ein „Mikroklima begünstigt worden, in dem rechtsextremes Potenzial Gewalt ausübt“. Zudem hätten Zivilgesellschaft und Kommunalpolitik zu lange geschwiegen. „Das ermutigt die Täter. Wenn dieser Kreis nicht durchbrochen wird, geht es immer weiter“, so Steckel. „Ermutigt werden sie auch durch die anhaltende Welle rassistischer Stimmungsmache wie zuletzt in Tröglitz.“
Mit der Gründung des Bündnisses gegen Rechts in Bitterfeld-Wolfen sei der richtige Weg beschritten worden, um Position zu beziehen und ein Frühwarnsystem zu installieren. „Es ist ein Stoppzeichen.“ (mz)