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Paradies der Bücher Paradies der Bücher: Bitterfelds Bibliothek wird 120 Jahre alt

Von Frank Czerwonn 10.12.2019, 11:09
Susanne Ackermann, Emöke Dippold und Moritz Schinke bereiten die Aktionen zum Bibliotheksjubiläum vor, die am Mittwoch stattfinden.
Susanne Ackermann, Emöke Dippold und Moritz Schinke bereiten die Aktionen zum Bibliotheksjubiläum vor, die am Mittwoch stattfinden. André Kehrer

Bitterfeld - Drei Männer haben vor 120 Jahren dafür gesorgt, dass Bitterfeld eine Bibliothek bekommt, die seitdem ununterbrochen besteht. Der Arzt Dr. Wilhelm Clemens Oskar Riedel regte damals an, einen Volksleseverein zu gründen.

Spontane Unterstützung bekam er von zwei Lehrern: dem späteren Berufsschuldirektor Krickeldorff und dem Realschul-Direktor Franke. Und so wurde am 18. Dezember 1899 die erste Bücherei der Stadt im Keller der Realschule eröffnet.

Es handelt sich um das Gebäude der späteren Diesterwegschule, die heute ein Pflegeheim beherbergt. Das Jubiläum wird eine Woche vorfristig am Mittwoch gefeiert: mit Aktionen für Schulklassen, Ausstellung und Lesung mit der Schriftstellerin Ines Thorn aus ihrem historischen Roman „Horizont der Freiheit“.

In den 120 Jahren hat die wohl älteste Bibliothek des Altkreises viel erlebt

In den 120 Jahren hat die wohl älteste Bibliothek des Altkreises viel erlebt: steigenden Buchbestand, wachsende Leserschar, mehrere Umzüge, die Aufnahme von Kunstwerken, Schallplatten oder Spielen in den Bestand sowie technische Modernisierungen bis hin zu E-Book und Digitalausleihe.

„Doch eines hat sich in all der Zeit nicht geändert: Das Anliegen der Bibliothek“ sagt Bibliothekarin Susanne Ackermann. Das umriss schon Gründungsvater Riedel: Durch die Bücherei solle den Einwohnern „ein gutes Schriftentum belehrender und unterhaltender Art“ geboten werden. Wissen und Unterhaltung also - das gilt bis heute.

Mit 829 Büchern im Keller begann der Siegeszug der Bücherei. Ein Jahr später gab es 500 Leser und 1 122 Bände. Es wurde Zeit für ein erstes Bücherverzeichnis, das auf Initiative Kirckeldorffs 1901 angelegt wurde. Finanziert wurde das Angebot durch Spenden aus Bürgerkreisen und der Industrie. Von 19 bis 21 Uhr hatte in den Anfangsjahren die Ausleihe geöffnet. Für 14 Tage erhielt man dort die Bücher kostenlos.

Die Umzüge der Bibliothek waren oft mit Neuerungen und Namenswechseln verbunden

Offenbar kam die öffentliche Buchsammlung gut an, so dass man am 3. November 1910 in die Schule am Kirchplatz - das heutige Kreismuseum - umzog. Dies war nur der erste vieler weiterer Ortswechsel: 1926 in die Bismarckstraße 15 (heute Deutsche Bank), Anfang der 50er Jahre ins Haus Am Theater 6, 1962 ins heutige Neubi-Domizil am Markt und als dort die Traglast von 25.000 Büchern zu groß wurde, ging es im April 1976 in die Burgstraße 1, die Loberschule. Zum bislang letzten Mal wurden im März 2014 die Kisten gepackt. 30.000 Bücher sowie CDs, DVDs und Spiele wanderten ins Historische Rathaus am Markt, wo die Bitterfelder Bibliothek seitdem heimisch ist.

Die Umzüge waren oft mit Neuerungen und Namenswechseln verbunden. So beschloss der Magistrat am 13. September 1919, die „Volksbibliothek“ in die Hände der Stadt zu legen. Mit dem Wechsel in die Straße Am Theater hieß sie dann Städtische Volksbücherei. Dort erhielt sie nicht nur eine vielbesuchte Lesestube, sondern öffnete auch eine Zweigstelle in der Raguhner Straße sowie eine Kinderbibliothek in der Niemegker Straße.

Der Bestand war Anfang der 50er Jahre auf 10.000 angewachsen

Der Bestand war Anfang der 50er Jahre auf 10.000 angewachsen. Mit dem Umzug in die Straße der Republik (Neubi) wurde von Theken- auf Freihandausleihe umgestellt. Erstmals konnten die Leser selber in den Regalen stöbern, die 25.000 Bände beherbergten.

Nach einem vierwöchigen Umbau wurde 1976 die Loberschule zur Bibliothek, ein Jahr später kam dort die Artothek hinzu. „107 Gemälde standen zur dreimonatigen Ausleihe bereit“ weiß Ackermann. Und 1980 wurde im Hof ein Neubau für die Kinderbibliothek errichtet. Auf 150 Quadratmetern war auch Platz für Veranstaltungen.

Von 1992 bis 1996 wurde das Gebäude saniert, es entstand ein Glasanbau

Nach der Wende hat sich so manches verändert - nicht nur am Bestand. 1991 war ein erfolgreiches Jahr: So schenkte die Frauenunion der Partnerstadt Marl 1.000 Bücher, zum Jahresende schickte Marls Bürgermeister noch mal 4.500 Bände für 90.000 D-Mark. In dem Jahr wurde auch die Zweigstelle in der Anhaltschule eröffnet, heute ist sie Schulbibliothek. Von 1992 bis 1996 wurde das Gebäude saniert, es entstand ein Glasanbau. Der erste Computerarbeitsplatz folgte am 20. November 1999. Im selben Jahr kam zum 100. Geburtstag die Humoristin Renate Holland-Moritz.

An den Rest erinnert man sich noch gut: der Zusammenschluss mit Wolfen zur Stadtbibliothek 2007, die computergestützte Ausleihe 2009, der Onlinekatalog ein Jahr später. Und der legendäre Umzug 2014 mit der 400 Meter langen Menschenkette. Ein Jahr später kamen die E-Books dazu. „Es gibt eben immer wieder Neues zu entdecken“, so Ackermann. (mz)

Der öffentliche Teil der Feierlichkeiten beginnt Mittwoch um 17 Uhr. Man kann stöbern und die Ausstellung „Bibliotheksarbeit im Wandel der Zeit“ besichtigen. Um 18 Uhr startet eine Führung. Ines Thorn liest ab 19 Uhr.

Würde man alle ausleihbaren Medien der Bibliothek aneinander reihen, könnte man sie vom Fuß des Bitterfelder Bogens bis zur obersten Plattform nebeneinander aufstellen.Im vergangenen Jahr hat jeder Nutzer im Schnitt 68 Medien ausgeliehen. 2018 wurde während der Öffnungszeiten in jeder Minute ein Medium ausgeliehen. Jährlich schafft die Bibliothek rund 1.500 neue Medien an und es braucht etwa 1.000 Arbeitsstunden, bis alles ausgeliehen werden kann.

In den letzten zehn Jahren haben mehr als 12.000 Kinder und Erwachsene Veranstaltungen und Ausstellungen besucht.

Immer wieder gibt es Lieblingsbücher: In diesem Jahr führt Nora Roberts’ „Die falsche Tochter“ die Liste der Romane an. Es folgen Jilliane Hoffman mit „Cupido“ und Lars Keplers „Der Hypnotiseur“. Bei den Sachbüchern liegt „Die große Gartenenzyklopedie“ auf dem Spitzenplatz. Die Kinder lieben vor allem den „Großen Diercke-Atlas“. Es folgen Wolfgang Brenneisens Buch „Das fliegende Klassenzimmer“ auf Platz zwei und „Die Eiskönigin- völlig unverfroren“ auf dem dritten Rang.

Anfang der 50er Jahre wurde eine Lesestube eingerichtet.
Anfang der 50er Jahre wurde eine Lesestube eingerichtet.
Bibliothek
Im Keller der späteren Diesterwegschule war die erste Bücherei untergebracht.
Im Keller der späteren Diesterwegschule war die erste Bücherei untergebracht.
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