Kleinkunst in Wittenberg Kleinkunst in Wittenberg: Pralles Solo für eine Frau
Wittenberg/MZ. - Manche Sachen sollten einfach nicht aufgeschoben werden. Das Gespräch mit Sabine Kühne-Londa ist so eine Sache. Als am Dienstagabend der Ehemann der Schauspielerin meint, man könne sie sicher sofort nach der Vorstellung sprechen, da hätte man stante pedes loslegen müssen.
Aber der Gatte erwähnt auch, "dass die Sabine jetzt noch richtig auf Speed ist". Und dass sie eigentlich erst einmal ihre alten Freunde treffen möchte. Von denen sind nämlich einige gekommen, um "die Sabine" in Oliver Bukowskis Frauensolo "Nichts Schöneres" (Regie Clara Widmer) zu erleben. Unten im Keller der Wittenberger Kleinkunst-Bar "Barrik" sitzen sie. Ralf Richter ist da, Barbara Schüler auch und noch andere.
Früher waren sie alle mal beim Mitteldeutschen Landestheater Wittenberg. Aber dann ist Sabine Kühne-Londa gegangen. Sie ist gut. Sie arbeitet jetzt freiberuflich am Volkstheater Millowitsch in Köln. Und fürs Fernsehen. Beim Öffentlich-rechtlichen hat sie ebenso ihre Auftritte wie bei den Privaten.
Zurück ins "Barrik". Brechend voll ist an diesem Abend der Keller. Auf der improvisierten Bühne (gestaltet von Klaus Helfricht) stehen mehrere Wäscheständer. Ein Bügelbrett. Und dazwischen die blonde Sabine Kühne-Londa, Jahrgang 1961, in einer taubenblauen Kittelschürze, Marke "VEB Fortschritt".
Sie spielt, ach was, sie ist Mechthild Magda Huschke. Ein dralles Weib mit losem Mundwerk und einer Sprache, die an Deutlichkeit kaum zu überbieten ist. Egal, ob es um die letzte, diese orgiastische Mega-Nacht geht, die sie mit einem Studenten verbracht hat, der sie "von hinten, von vorne und das alles" nahm und eine erfahrene Frau nannte, oder um frühere Episoden aus ihrem vermurksten Leben: Mechthild nennt die Dinge beim Namen. Weil sie (scheinbar) ein bisschen naiv ist. Aber auch oder vor allem weil eine wie sie, die wegen Totschlags am eigenen Gatten ("Dem Dieter, war das ein Aas") drei Jahre in Haft und weitere drei in der Psychiatrie zugebracht hat, weil so eine eben nichts mehr zu verbergen und vermutlich noch weniger zu verlieren hat.
Während sie das Publikum mit einer Melange aus schwarzem Humor und Wehmut an die Abgründe ihres Lebens führt, wirtschaftet sie auf der Bühne herum. Hängt Wäsche auf und am Ende wieder ab, bohrt ihre Nase in ein Kopfkissen, um die letzte Nacht noch einmal zu fühlen, zu riechen, zu schmecken.
Tief in ihrem Innern sehnt sie sich nach Liebe, weil eine neue Liebe wie ein neues Leben ist, wie schon Schlagerbarde Jürgen Marcus wusste. Dummerweise ist der Student, mit dem sie ihr Bett geteilt hat, längst über alle Berge. Und für Mechthild Magda Huschke geht alles weiter wie bisher.
Die Zuschauer haben sie derweil längst in ihre Herzen geschlossen, und dass sie "den Dieter" durch einen Häcksler gejagt hat, kann man ja auch irgendwie verstehen. Er hat sie gedemütigt, geschlagen, verraten. So einer verdient es nicht zu leben, oder? Natürlich hätte sie ihn verlassen können, aber auf diese Idee ist sie nie gekommen. Frauen wie Mechthild tun so etwas nicht. Sie fügen sich in ihr Schicksal und arrangieren sich - so gut oder so schlecht es eben geht.
Am Ende darf sich Sabine Kühne-Londa in Beifall baden. Es gibt Applaus fortissimo für eine solistische Meisterleistung und bodenständiges Gegenwartstheater. Fünf Mal muss sie auf die Bühne zurück.
Unterdessen bietet ihr Ehemann der Presse das Gespräch mit Sabine an. Gleich nach der Vorstellung. Oder doch nicht? Da sind die Freunde, man möchte das Wiedersehen feiern. Klar doch. Am nächsten Tag, erzählt Herr Londa dann, könnte man ja telefonieren. Und wann? "Vormittags, da wollen wir wie früher mal wieder durch die Elbauen spazieren". Vielleicht ist Sabine Kühne-Londa ja auch deshalb nicht ans Telefon gegangen. Weil es am Fluss so schön war.