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Juckreiz, Quaddeln, Bläschen Juckreiz, Quaddeln, Bläschen: Mit Haarspray gegen die gefährlichen Raupen in Bitterfeld

Von Stefan Schröter 15.06.2018, 09:52
Mario Otto nähert sich per Hebebühne der Eiche auf dem Bitterfelder Friedhof. Dann besprüht er das Nest des Schädlings, bevor er es entfernt.
Mario Otto nähert sich per Hebebühne der Eiche auf dem Bitterfelder Friedhof. Dann besprüht er das Nest des Schädlings, bevor er es entfernt.  A. Kehrer

Bitterfeld - Jetzt geht es den Eichenprozessionsspinnern an den Kragen: Mit den Händen reißt Mario Otto ihre Nester von den Eichen auf dem Bitterfelder Friedhof. Zuvor hat er die Raupenknäuel mit Haarspray eingesprüht, damit deren gefährliche Brennhaare nicht umherfliegen. Die Reste am Baum verbrennt Otto nach dem Abreißen mit einer Flamme.

Gefährliche Tierchen auf Friedhof in Bitterfeld

Zwei Tage lang arbeitet sich das Team der Firma Ökodienst Zehler durch den Friedhof. Mit einem Fernglas kontrolliert es Eiche für Eiche. Raik Steudel schätzt, dass Freitagnachmittag bis zu 40 Bäume von dem Schädling befreit sind. „Ich bezweifle aber, dass wir jedes Nest finden. Vielleicht 80 Prozent.“

Je mehr, desto besser. Denn die Tierchen sind gefährlich. Ihre Brennhaare können nach Angaben des Landesamtes für Verbraucherschutz (LfV) bei Kontakt zu Gesundheitsbeschwerden führen. Juckreiz, Quaddeln, Bläschen, Hautentzündungen drohen. „Durch den Kontakt mit in der Luft schwebenden Haaren können bei Einatmung Reizungen der Atemwege bis hin zum Asthma entstehen.“ Auch Bindehautentzündungen sind möglich. „Aufgrund der hochallergenen Nesselhaare der Raupen sollte jeglicher Kontakt vermieden werden“, warnt auch die Stadt Bitterfeld-Wolfen auf MZ-Nachfrage.

Deshalb gehen Mario Otto und Raik Steudel vorsichtig vor bei der Bekämpfung. Zur Schutzbekleidung gehören auch eine Brille sowie Atemschutz. Sie beobachten auch wie der Wind steht. Über 50 Meter weit könnten die Härchen immerhin geweht werden. „Jeder Mensch reagiert auf Kontakt mit ihnen unterschiedlich. Die Gefahr darf man nicht unterschätzen“, sagt der Fachagrarwirt Raik Steudel. Zumal die Population des Schädlings in diesem Jahr riesig ist. „Sie ist explodiert.“ Die Firma kann sich seit ein paar Wochen vor Aufträgen in den Landkreisen Wittenberg und Anhalt-Bitterfeld kaum retten.

Unterstützung vom Land für den Kampf gegen Spinner

Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) versprach am Mittwoch finanzielle Unterstützung für die von dem Spinner geplagten Kommunen im Land. Unter anderem im Wörlitzer Park ist der Befall enorm, ganze Eichen sind kahlgefressen, berichtet die Firma ihre Eindrücke. Mittlerweile hat sie mehr als drei Container mit Nestern gefüllt. Sie sollen verbrannt werden.

Auch die Stadt Bitterfeld-Wolfen muss die Schädlingsbekämpfer in diesem Jahr öfter beauftragen. Nicht nur wegen dem Vorkommen auf dem Friedhof. In der Thalheimer-, der Stakendorfer und der Guardianstraße fraßen sich die Raupen ebenfalls durch die Bäume, die Fuhneaue war stark betroffen, am Reudener Tiergehege bestand Handlungsbedarf.

In Summe befreite die Ökodienst GmbH bis Freitag rund 100 Bäume in der Stadt von der Raupe. Mal klebte nur ein Nest an der Eiche, mal mehrere. „Wir waren jetzt eineinhalb Wochen in Bitterfeld-Wolfen unterwegs“, bilanziert Steudel. Auch in der Gemeinde Muldestausee bekämpfte die Firma den Schädling – unter anderem in Muldenstein rund um den Steinberg, am dortigen Sportplatz, an der Poucher Kita und der Schule in Gossa ...

Wird das Insekt zum Dauerproblem?

An der B 184 zwischen Heidekrug und Dessau-Süd warnen schon seit zwei Jahren Verkehrsschilder vor dem Eichenprozessionsspinner. „Sie gelten Nutzern der Geh- und Radwege und sollen auf eine mögliche Gefahr hinweisen. Grundsätzlich muss der Nutzer selbst entscheiden, inwieweit er die betreffenden Strecken befährt“, erklärt Oliver Grafe, Chef der regionalen Landesstraßenbaubehörde. „Für Autofahrer besteht bei der Durchfahrt im Regelfall keine Gefahr.“

Wird das Insekt zum Dauerproblem? Der Schädlingsbekämpfer Raik Steudel vermutet, dass man sich langfristig mit dem Tier arrangieren muss. Es seien zu viele, um ihrer Herr zu werden. Auch großflächiges Besprühen töte nicht alle ab. „Vielleicht bekämpft man sie irgendwann nur noch an Schwerpunktorten.“ An Kitas zum Beispiel.

Mittlerweile sind die Raupen an den Eichen weniger aktiv als noch vor Tagen. Ihre nächtlichen Prozessionen werden weniger. Sie sammeln sich stattdessen verstärkt zur Verpuppung in Nestern. In mehreren Wochen schlüpfen die Nachtfalter. Aber die verlassenen Nester bleiben jahrelang eine Gefahr. „Sie könnten herunterfallen“, sagt Steudel. Die Brennhaare können nach Angaben des LfV bis zu sechs Jahren stabil bleiben und damit so lange Gesundheitsprobleme auslösen.

(mz)

Der Schädling kann Eichen über Fraßschäden auch in die Knie zwingen.
Der Schädling kann Eichen über Fraßschäden auch in die Knie zwingen.
 A. Kehrer
Nachdem das Nest entfernt wurde, bekämpft Mario Otto mit Flammen die Rückstände an den Bäumen. Die Spezialkleidung schützt ihn vor den Brennhaaren.
Nachdem das Nest entfernt wurde, bekämpft Mario Otto mit Flammen die Rückstände an den Bäumen. Die Spezialkleidung schützt ihn vor den Brennhaaren.
 A. Kehrer