Jahrhundert-Frau hält sich fit
WOLFEN/MZ. - Die zierliche, hellwache Frau sitzt inmitten ihrer Familie an der Tafel, die die Mitarbeiterinnen des Wolfener Kursana-Domizils in der Bibliothek gedeckt haben. Es ist anstrengend, wenn man so einen Geburtstag hat. Der fängt früh um sechs Uhr an und kennt keinen Mittagsschlaf. Und wann er endet - dafür gibt es auch keine feste Zeit. Die Wünsche der Gratulanten kommen in Hülle und Fülle. Kinder führen ein Programm auf. Für eine Frau, die 100 Jahre alt ist. Wie erklärt man das Kindern? "Das sind so viele Jahre wie Dornröschen geschlafen hat", sagt Tochter Margrit einfach. Und die Kinder staunen: Denn wie das Dornröschen sieht sie nicht aus, wie eine 100-Jährige aber auch nicht. Und dann kommt noch etwas ganz Besonderes für Lieselotte Schmidt, denn auch die Familie hat etwas vorbereitet. Schließlich sind einige Familienmitglieder Schauspieler.
Eine waschechte Wolfenerin ist Lieselotte Schmidt nicht. Erst vor sechs Jahren ist sie von Magdeburg in die Stadt gezogen, in der Tochter Margrit lebt. Hier hat sie im Kursana Senioren-Domizil ihre eigene kleine Wohnung. "Erst wollte ich nicht aus Magdeburg weg, man hat ja seine Bekannten", sagt sie. "Aber dann kam ich hier an und hab mich sofort heimisch gefühlt. Ich war die erste, die hier eingezogen ist."
Geboren wurde sie in Löderburg, einem kleinen Ort nahe Staßfurt. Von dort zog es sie nach Magdeburg. Die Stadt ist ihr ans Herz gewachsen, sagt sie. Das ist kein Wunder, hat sie doch dort die allermeiste Zeit ihres Lebens verbracht. 68 Jahre war sie verheiratet, zwei Töchter und einen Sohn hat sie zur Welt gebracht. In Magdeburg stand auch ihre Drogerie, die ihr Mann und sie geführt haben. Die sie nach dem Krieg in der zerbombten Stadt mutig wieder eröffneten und all die Jahre stolz und gut über die Zeit brachten, bis sie sie schließlich an die sozialistische Handelsorganisation übergeben mussten. Ach, sagt sie, das ist heute vergessen.
Die Gedanken wandern zurück und für einen Moment ist die Zeit eine andere, eine, die sie nicht vergessen kann. "Es war manchmal schwer. Die Inflation", sagt sie und winkt ab. "Die Eltern hatten alles verloren. Ich sehe heute noch meine Großmutter stehen - so traurig. Zwei Kriege habe ich erlebt. Den Bombenangriff am 16. Januar '45 auf Magdeburg, wie die Stadt gebrannt hat - das vergesse ich nie."
Doch am Geburtstag sollen die Gedanken nicht trübe sein. Schon gar nicht an so einem Tag. Die Feier geht weiter in Wörlitz, die Sonne scheint sich eigens dafür am Nachmittag fit gemacht zu haben. So ist ein kleiner Spaziergang drin. Weit geht sie nicht mehr, meint die Jubilarin. Doch: "Jeden Tag gehe ich raus. Mit meinem kleinen Wagen drehe ich meine Runde hier im Gehöft", erklärt sie. "Das will ich so, dazu zwinge ich mich." Für weitere Strecken gibt es einen Rollstuhl und für Ausfahrten das Auto von Tochter und Schwiegersohn.
Der größte Wunsch, den sie hat, ist einer für ihre Kinder, Enkel und die Urenkelin, die in Wolfen, Stuttgart, Brandenburg, Berlin leben: "Dass sie alle gesund bleiben, das wünsche ich mir von Herzen."