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Im Windschatten des großen Reformators

26.05.2005, 14:47

Wittenberg/MZ/cni. - Matthew Fox erschien ganz offiziell. Am vorvergangenen Mittwoch warb der Dominikaner-Mönch aus den USA, in den 90er Jahren von Rom gemaßregelt und des Amtes verwiesen, in Wittenberg für (s)eine neue Reformation. Womit? Mit 95 Thesen. Dass die "nicht gänzlich unbedeutend" sind, sagt Wittenbergs prominentester Theologe Friedrich Schorlemmer. Mit der um sich greifenden Vereinnahmung Luthers habe er aber "grundsätzlich Schwierigkeiten".

Was ist dran an den Thesen des Amerikaners, der verkünden lässt, dass die Wahl Josef Ratzingers ins Pontifikat eine Möglichkeit für die Diskussion eröffne, welche Richtung das Christentum im 21. Jahrhundert einschlagen sollte? Der evangelische Pfarrer Matthias Schollmeyer aus Zahna und sein Wittenberger Kollege Paul Christian (katholisch) haben sich mit einigen Thesen näher befasst.

Der Mutter-Gott

These 2 - In unserer Zeit ist Gott mehr Mutter als Vater, denn das Weibliche fehlt am meisten, und es ist wesentlich, das Gleichgewicht der Geschlechter wieder herzustellen.

"Ich weiß nicht", sagt Schollmeyer, "ob das Weibliche gerade heutzutage als most missing gelten kann. Mütter sind viel mächtiger als Väter. Natürlich ist die Gottheit der monotheistischen Religionen weder männlich noch weiblich. Aber wenn man den Archetypus des Vaters zur Beschreibung der göttlichen Schöpferkraft nutzen will, und das ist berechtigt, sollte man der Vollständigkeit halber sicher auch das Bild der Mutter nicht vergessen, die behütet und großzieht."

Rituale gegen die Wut

These 92 - Wir müssen uns mit Hilfe von Ritualen und Übungen um die Trauer im menschlichen Herzen kümmern, die die Wut mindern, die Kreativität wieder in Fluss bringen.

Schollmeyer: "Es gibt einen Unterschied zwischen Wut und Zorn. Wut macht blind und kann nichts verändern. Zorn ist die Wut, die sich auf sich selbst besinnt. Es wird tatsächlich in den nächsten Jahren sehr darauf ankommen, die Wut, die sich im Augenblick überall aufmacht, in berechtigten Zorn zu verwandeln. Mit der Kraft des Zorns könnte die Kreativität vielleicht neue Wege gehen." Auch die Eucharistiefeiern der Kirche seien vom Ursprung Inszenierungen der trauernden Klage und des Zorns sowie ferner "die Überleitung zur Kommunikation und zur Feier miteinander". Man könnte von der These 92 aus "den oft klein gemachten Gottesdienst für die ganze Gesellschaft neu entdecken".

Echte Freude

These 45 - "Freude ist das edelste Werk des Menschen." (Thomas von Aquin). Fördern unsere Kultur und ihre Berufe, die Bildung und Religion wirklich Freude?

"Das ist eine der wichtigsten Fragen, die Fox stellt", betont Schollmeyer und erläutert: ",Schluss mit Lustig' heißt ein Buch von Peter Hahne, das anhand vieler Fakten die sinnvergessene Spaßgesellschaft enttarnt. Freude am Leben ist etwas ganz anderes als Spaß an Belanglosigkeiten. Man sollte sich diese These an den Fernseher heften. Man wird dadurch viel Zeit gewinnen." Schollmeyers Fazit: "Hier hat ein weiser Mann menschenfreundliche Überlegungen zusammengetragen. Viele vor ihm haben sich in diese Richtung geäußert. Man überfliegt die Thesen eigentlich mit Zustimmung. Denn man weiß ja, dass es verschiedene Gnadengaben in der Kirche gibt: Der eine kann das, was ihn bewegt, so einfach wie Fox sagen. Andere müssen den Schatz der dogmatischen Überlieferung der Kirche durch die Jahrhunderte transportieren, transformieren."

Von menschenfreundlichen Überlegungen mag Paul Christian hingegen nicht sprechen. Zwar räumt er ein, "dass wir einen Dialog der Kirchen brauchen, aber nicht auf dieser Basis". Fox' Gottesbild sei kein christliches, sondern vielmehr ein pantheistisches, wonach Gott und die Welt eins sind. Abgesehen von einigen Thesen, in denen er gute Ansätze erkennen könne, vermisst Christian jegliche verbindliche Norm und sagt: "So kann es keine Erneuerung geben." Auch Wittenbergs Superintendent i. R. Albrecht Steinwachs bewertet die Thesen von Fox kritisch. "Sie vermitteln einen theologischen Stand, den wir vor 30 Jahren diskutiert haben", sagt er. Was Luther betrifft, so sei dieser bei seinen Thesen stets von biblischen Aussagen ausgegangen, deren Wirkung er im Alltag suchte. Fox mache es umgekehrt. Schlimmer noch: "Er stellt fest und gibt vor, was Christen tun dürfen und was nicht. Das regt nicht zum Austausch an." Genau dies sei aber der Sinn einer These, sagt Steinwachs.