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Hochwasser in Bitterfeld Hochwasser in Bitterfeld: Wenn Helfer Helfern helfen

Von christine Krüger 06.06.2013, 17:32
Das Sportstudio Schweiger in Bitterfeld schließt den Trainingsbetrieb und nimmt evakuierte Bürger auf.
Das Sportstudio Schweiger in Bitterfeld schließt den Trainingsbetrieb und nimmt evakuierte Bürger auf. André Kehrer Lizenz

Sandersdorf/MZ - Über den Goitzscheblick aus ihrer Wohnung hat sich Kerstin Schrowangen immer gefreut. Den hat sie jetzt eintauschen müssen gegen den Blick auf den Nova-Park. Im Sportstudio Schweiger hat die Bitterfelderin vorübergehend Quartier bezogen. Auch Alexandra Ziegan und eine junge Familie mit zwei Kindern ist hierher in Sicherheit gezogen. Andreas und Frank Schweiger haben den Aerobikraum als Notunterkunft eingeräumt - so, wie auch schon 2002. An der Tür zum Studio steht, dass das Training jetzt ausfällt. Weil anderes wichtiger ist, wie Sandsäcke verbauen zum Beispiel und eben hier Hilfe leisten. Nicht jeder ihrer Kunden sieht das so. Das verstehen sie beide nicht. „Ich kann doch nicht hier lustig trainieren, während da draußen der Katastrophenfall herrscht. Da muss man doch was machen, schon allein, wenn man die Leute so verzweifelt sieht“, sagt Andreas Schweiger. Dass die Unternehmer während dieser Tage auf ihre Einnahmen verzeichten - Frank Schweiger lacht und meint: „Geschenkt!“ Und ein tolles Frühstück, wie Kerstin Schrowangen lobt, wird von den beiden Männern auch noch serviert.

Vor der Mehrzweckhalle Sandersdorf steht derweil Elsa Knoob in ihrem Rollstuhl unter dem Sonnensegel - in der Runde mit anderen älteren Leuten. Viel geredet allerdings wird hier nicht. Jeder hängt so seinen Gedanken nach. Vielleicht spricht Gerda Böhm aus, was sie denken: „Die selben Probleme wie 2002. Die fliegen bis zum Mond, aber mit den Deichen, das kriegen sie nicht hin.“ Auch Elsa Knoob musste daheim schon einmal alles stehen und liegen lassen. „Mein Enkel hat mich damals zu meiner Freundin gebracht“, sagt sie. Die 86-Jährige kommt aus dem Pflegeheim Binnengärten. Alle ihre Mitbewohner haben jetzt ein Notbett in Sandersdorf. Insgesamt sind 330 ältere Leute aus Bitterfelder Pflegeheimen hier, knapp 200 von ihnen sind pflegebedürftig - einige schwer. Sie alle sind gut versorgt, meint Elsa Knoob - vom DRK, von Mitarbeitern des Krankenhauses, von der Stadtverwaltung, von freiwilligen Helfern und von den Mitarbeitern der jeweiligen Heime. Auch die Lions sind hier zum helfen. „Das hier haben wir uns bewusst ausgesucht, weil es doch eine schwierige Aufgabe für alle ist“, meint Manuela Lott.

In Kürze werden weitere Leute aufgenommen - knapp 30 aus der Schule in Zscherndorf. Armin Krautelt und seine Frau zum Beispiel. Auch sie wissen, was das heißt: Hochwasser in Bitterfeld. Damals, erzählt Armin Krautelt, sind sie nichts ahnend aus dem Urlaub gekommen und mussten geradewegs in die Notunterkunft - mit dem Urlaubskoffer in der Hand. In der Grundschule in Zscherndorf hatten 30 Leute Platz gefunden. Das, meinen sie übereinstimmend, ist gemütlich gewesen. Und eigentlich würden sie auch lieber hier bleiben. Doch die Stadt muss die Kapazitäten konzentrieren, erklärt der Zscherndorfer Ortsbürgermeister Michael Aermes. Denn mit zwei Notunterkünften werden an beiden Stellen Feuerwehr und DRK gebunden. Die Schüler auf dem Hof wissen, was in den Orten an Mulde und Goitzsche los ist. „Wir sprechen jeden Tag darüber“, sagt Lehrerin Carola Sturm. „Die Kinder fühlen da richtig mit.“

Es ist Zeit zum Mittagessen in Sandersdorf. „Das schmeckt sehr“, weiß Elsa Knoob. Das Essen kommt von nebenan - von der Sportgaststätte, die Matthias Groß betreibt, und von der Klubgaststätte der Kegelbahn, die Lars Schubert gepachtet hat. Eigentlich, sagt Schubert, habe er sich die Eröffnung seiner Gaststätte etwas anders vorgestellt. „Aber so macht es Sinn.“ Am ersten Tag hat er den Sandersdorfer Krisenstab versorgt: „Die Leute haben zu tun, die haben doch auch Hunger“, sagt er. Dass er das auf die eigene Kappe nimmt, ist für ihn klar. „Ich hätte mich geschämt, hätte ich hinterm Tresen kassiert.“ Das Team der Edeka-Halle hat auch Lebensmittel gespendet. Das haut schon hin, meint Christina Jänicke, die stellvertretende Chefin, die als Jeßnitzerin weiß, wovon sie gerade spricht. Jetzt sind es rund 200 Portionen, die aus Schuberts Küche für die Helfer und evakuierten Bürger kommen - nun auf Rechnung des Landkreises.

Lars Schubert von der Kegelbahngaststätte Sandersdorf kocht für die Leute.
Lars Schubert von der Kegelbahngaststätte Sandersdorf kocht für die Leute.
André Kehrer Lizenz
Evakuierte Senioren aus Pflegeheimen und Krankenhäusern sitzen vor der Notunterkunft Turnhalle Sandersdorf.
Evakuierte Senioren aus Pflegeheimen und Krankenhäusern sitzen vor der Notunterkunft Turnhalle Sandersdorf.
André Kehrer Lizenz
In der Notunterkunft in der Grundschule Sandersdorf sichert sich Familie Krautelt aus Bitterfeld einen Schlafplatz.
In der Notunterkunft in der Grundschule Sandersdorf sichert sich Familie Krautelt aus Bitterfeld einen Schlafplatz.
andré kehrer Lizenz