Galerie am Ratswall Galerie am Ratswall in Bitterfeld: Ausstellung zeigt maroden Charme heimischer "Lost Places"

Bitterfeld - Fasziniert ist Grit Lichtblau nicht nur von dem, was sie in alten, verfallenden Villen, Kurhäusern, Werkhallen etc. sieht. Die Schönheit des Verfalls hat für sie zumindest eine zweite Seite: Die Geschichten, die hinter dem stehen, was ihr in den Blick kommt.
„Und natürlich die Baukunst von damals finde ich Hammer“, sagt die Fotografin, deren Arbeiten unter dem Titel „Der Charme des Vergänglichen“ bis zum 16. September im Kabinett der Galerie am Ratswall in Bitterfeld zu sehen sind.
Im richtigen Leben ist die 49-Jährige Journalistin und Moderatorin bei MDR Sachsen-Anhalt und das Fotografieren für sie das schönste Hobby ihrer Welt. Dabei sahen die allerersten Aufnahmen eher nicht danach aus, als würden ihnen weitere folgen, meint sie lachend und erzählt die Geschichte: „Ich sollte Fotos für meinen Mann von einer Messeveranstaltung machen. Die Ausbeute war null. Nicht ein Foto ist was geworden.“ Irgendwie fand sie das doch ärgerlich und sagte sich: Entweder mach es richtig oder lass es bleiben. Sie entschied sich für „richtig“.
Auf den Fotos sind zahlreiche „Lost Places“ – verlorene Orte – zu sehen
Der Entscheidung folgten einige Workshops. Relativ früh habe es da „klick gemacht“, blickt sie zurück. „Das ist wie beim Fahrradfahren - irgendwann braucht das Kind die Stützräder nicht mehr und kann fahren. Man konnte zugucken, wie meine Bilder besser wurden.“
Für ihre Fotos, die sie in Bitterfeld zeigt, hat sie einige der so genannten „Lost Places“, verlorene Orte, erkundet - in ihrer Heimatstadt Dessau, in Vockerode, in Leipzig und in Beelitz-Heilstätten, in Potsdam, in Berlin und Andalusien. Eingefangen und im wahrsten Sinne festgehalten für die Ewigkeit hat sie sowohl bauliche Situationen als auch emotionalen Stimmungen. Und beides - man weiß es - ist vergänglich.
Die ersten Lost Places fotografierte sie im Kraftwerk Vockerode. „Ich wollte das unbedingt sehen“, sagt sie, „ich stand ganz allein in dieser riesigen Halle. 2011 - da war noch fast alles so, wie es die Arbeiter verlassen hatten. Es war faszinierend, aber auch ein bisschen gruselig.“
Schönheit in kleinen, liebevoll beobachteten und herausgestellten Details
Mit ihren Aufnahmen nimmt die Fotografin den Betrachter mit in eine ganz eigene Welt. Eine, die sich durchaus nicht jedem öffnet. Vielleicht, weil es für ihn „altes Zeug“ ist oder Schrott oder hässliche Ruinen. Ja, und was soll auch schön sein an Dingen, die gerade vor sich hinrotten? Es sind die kleinen, liebevoll beobachteten und herausgestellten Details, auf die Grit Lichtblau aufmerksam macht, die das Bild letztlich zu einem Ganzen und auch Harmonischen machen.
Die stehengelassenen Möbel in der Villa Kellermann in Potsdam, die zarten, seitlich nur angedeuteten Jugendstilwandbilder. Das Licht der Abendsonne, das durch die zerborstenen Scheiben eines Hauses in Andalusien schimmert. Die erstaunlich erhaltene wunderschöne orientalische Sauna im Stadtbad Leipzig. Auch die Schmierereien und der Vandalismus, die sich in der Kaserne in Dessau zeigen.
So eine Motivsuche ist bei Grit Lichtblau nicht dem Zufall überlassen
Und da sind die Geschichten hinter den Bildern. Die keiner erzählt, die aber jeder für sich selbst entdeckt. Die sich so abgespielt haben mögen oder auch ganz anders. Man weiß es nicht. Sicher ist nur: Auch hier war mal Leben. Doch geblieben sind nur noch die Plätze.
Für Grit Lichtblau ist es immer wieder ein Erlebnis, sagt sie, solche Plätze zu erkunden, Motive zu suchen. So eine Motivsuche ist nicht dem Zufall überlassen. Besonders geprägt überhaupt in der Fotografie hat sie die Fotografin Almuth Adler, erklärt sie. „Einen gewissen Anspruch entwickelt man ja dann auch.“
Mit Porträtaufnahmen wendet sie sich einer ganz anderen Seite der Fotografie zu. Vor allem mit älteren Leuten arbeite sie gern zusammen, sagt Lichtblau. „Beauty-Aufnahmen - sowas interessiert mich nicht. Ich muss in Gesichter sehen, die was zu sagen haben.“ Und das würde sie viel öfter machen. Doch Porträtfotografie, das ist ein Haken an der Sache, braucht sehr, sehr viel Zeit. Eines ihrer Porträts übrigens ist dieses Jahr in Wolfen zu sehen, wenn die Ausstellung „100 Bilder des Jahres“ im Industrie- und Filmmuseum Station machen wird. (mz)

