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"Fühle mich fallen gelassen"

Von silke ungefroren 14.01.2013, 18:19

bitterfeld/Greppin/MZ. - 27 Jahre Gesundheitswesen - gearbeitet, gemobbt, gedemütigt, krank, behindert und jetzt: fallen gelassen und mittellos. Diese Worte hatte sie auf den Karton geschrieben. Sie saß daneben, mit einer Zeitung in der Hand, "2. Chance" heißt die. Und genau die will sie endlich bekommen.

Was ist mit einem Menschen passiert, der zu solch einer Maßnahme greift? Gibt es keine anderen Möglichkeiten? "Ich habe schon vieles unternommen, doch ohne Erfolg", sagt die Frau im Gespräch mit der MZ. "Und irgendwie hatte sich alles angesammelt, meine Wut, meine Verzweiflung, die Ausweglosigkeit. Ich musste einfach irgend etwas tun." Sie war gerade von einem Krankenhausaufenthalt zurück, hatte einen Nervenzusammenbruch. "Das war, als auch noch die Ablehnung von Hartz IV kam, über zwei Monate war ich schon ohne Geld. Das war einfach zu viel."

Eine lange Geschichte

Wie Antje Quilitzsch in diese Situation kam, ist eine lange Geschichte. Mit 16 Jahren begann sie ihre Lehre zur Köchin im Krankenhaus. Bis zur Schließung der Außenstelle in Carlsfeld war sie dort als stellvertretende Küchenleiterin beschäftigt. Danach kam sie in die Küche der Bitterfelder Klinik als Köchin. Und als das Essen-Bestellsystem für die Patienten eingeführt wurde, wurde sie zwei Jahre später eine sogenannte Hostess - ging also von Krankenzimmer zu Krankenzimmer und notierte die Speisewünsche. 2001 stellten sich die ersten Krankheitsanzeichen ein, Rückenprobleme vor allem. Am 31. März 2010 dann wurde es ganz schlimm. "Ich konnte kaum noch laufen, und in der Nacht musste ich in die Notfallaufnahme." Seit 1. April 2010 ist sie krank - beidseitige Hüftdysplasie die Diagnose. Schallschwerhörigkeit und später auch Depressionen kamen hinzu.

Leidensgerechter Arbeitsplatz

Der Grund: Seit sie weiß, was sie hat, versucht sie, bei ihrem Arbeitgeber einen sogenannten leidensgerechten Arbeitsplatz zu bekommen. Denn in ihrem alten Beruf kann sie nicht mehr arbeiten: Die Krankenkasse hat ihre Berufsunfähigkeit anerkannt - rückwirkend zum 1. April 2010. Doch bisherige Bewerbungen im Haus schlugen fehl: für den Empfang beispielsweise oder den Schreibpool oder die Patientenaufnahme.

"Die Ablehnungen kann ich zum Teil nicht nachvollziehen", sagt Antje Quilitzsch. "Gerade beim Empfang. Dort hätte ich eine Tätigkeit gehabt, die wechselt zwischen Sitzen, Gehen und Stehen - wie in den ärztlichen Gutachten vermerkt." Sie hätte es gern gemacht - wegen des Kundenkontaktes und der internen Hauskenntnisse. "Zudem habe ich damals im Babyjahr in Carlsfeld und auch in Bitterfeld oft genug ausgeholfen. Aber ich wurde abgelehnt."

Arbeiten würde die Greppinerin gern wieder - schließlich ist sie erst 46. Und natürlich am liebsten auch wieder im Krankenhaus. "Doch ich habe den Eindruck, dass man mich dort nicht mehr will." Dieser Eindruck kommt aus ihrer Sicht nicht von ungefähr. Sie berichtet von internen Vorgängen, spricht von Mobbing und Bossing. "Das ist noch eine verschärftere Form. Ich könnte da einiges erzählen." Das will sie aber nicht. Doch was ihr auf der Seele liegt: "Ich fühle mich fallen gelassen, hätte mir nach so vielen Jahren Betriebszugehörigkeit mehr Entgegenkommen gewünscht. Ich kann einfach nicht verstehen, dass solch ein großes Unternehmen nicht in der Lage ist, einen Arbeitsplatz oder wenigstens ein kostenloses Praktikum für eine Mitarbeiterin zu finden, die so lange im Betrieb war und jetzt gesundheitliche Probleme hat. Noch dazu ein Betrieb im sozialen Bereich."

Antwort vom Unternehmen

Norman Schaaf, der Geschäftsführer des Gesundheitszentrums Bitterfeld-Wolfen, hat darauf eine Antwort. "Wir können nicht für jeden Mitarbeiter einen leidensgerechten Arbeitsplatz schaffen, wenn es den nicht gibt." Zum Problem von Antje Quilitzsch erklärt er, dass man ihr alles angeboten habe, was möglich war - das habe sie aber abgelehnt. Für jene Stellen, für die sich beworben hat, sei sie nicht geeignet gewesen. "Entweder aus gesundheitlichen Gründen oder bezüglich der Qualifikation." Das sei rechtlich auch alles ordentlich abgehandelt worden gemeinsam mit dem Betriebsrat und der Schwerbehindertenvertretung. Natürlich könne sie sich weiter bewerben, nur sei momentan keine Stelle zu vergeben. "Vielleicht sollte sie auch mal an eine Umschulung denken."

Nach dem Auslaufen des Krankengeldes nach 78 Wochen befindet sich Antje Quilitzsch in einem sogenannten ausgesteuerten Arbeitsverhältnis (siehe "Ausgesteuert"), erhielt ab Oktober 2011 Arbeitslosengeld. Das wiederum lief im Oktober 2012 aus. Jetzt, nach wochenlangem Kampf, ist auch der Hartz-IV-Antrag bewilligt. "Er war falsch berechnet worden", sagt Quilitzsch. Sie bewirbt sich, auch anderswo - wie vom Jobcenter gefordert. Und will die Hoffnung nicht aufgeben.