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Friedersdorf Friedersdorf: Verein rettet industriellen Nachlass

Von christine Krüger 08.08.2012, 17:09

friedersdorf/MZ. - Am liebsten wäre es ihnen natürlich, das Bahnkraftwerk Muldenstein würde noch da stehen, wo es 1910 / 11 hingestellt worden ist: auf dem Berg über der Mulde bei Friedersdorf - mit den drei über 100 Meter hohen Schornsteinen. Eine imposante Landmarke. Vor allem aber war das einzige kohlebetriebene Bahnkraftwerk Deutschlands eine technische Einmaligkeit. Aber da der letzte Rest im Frühjahr 2011 platt gemacht worden ist und also das Zeugnis höchster Ingenieurskunst vom Beginn des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr existiert, haben sich Männer um Franz-Ferdinand Radmacher stark gemacht, wenigstens die Erinnerung zu bewahren.

Schon weit bevor die großen Schornsteine im vergangenen Jahr fielen, haben sie aus den Gebäuden gerettet, was noch zu retten war. Das allerdings war nicht mehr sehr viel. Schrottdiebe hatten das unter Denkmalschutz stehende Werk auf ihre Art entkernt. Und die Bundesbahn selbst, sagt Radmacher und winkt unwillig ab, habe sich auch nicht mit Ruhm bekleckert. "Die hatten im Werk ein super Archiv, das wollte die Bahn behalten, aber dann ist es zerfledert, und nun ist es ganz weg."

Eigentlich hatte das Kraftwerk in die Reihe der Expo-2000-Projekte einbezogen werden sollen. Doch scheiterte das am Geld. Also kümmert sich seitdem der Förderverein Technikfreunde darum, vor zehn Jahren hat er sich gegründet. "Wir wollen die Gerätschaften erhalten, das sind ja technische Zeitzeugen", sagt Radmacher. "Viel haben wir auch in Bild und Text dokumentiert. Wir wollen den jungen Leuten sagen: So und so sah es früher aus, so haben die Leute gearbeitet."

Und mit dem Werk, in dem einst 300 Leute in Lohn und Brot standen, haben sie durchaus etwas vorzuweisen. "Bis 1994 wurde von hier der aus Kohle erzeugte Strom für die Elektroleitungen der Bahn in der für die Bahn speziellen Frequenz geliefert. Das war hier die Wiege der Elektrifizierung der Bahn, hier wurde viel erprobt", erklärt Bodo Scholtz. Der erste elektrisch angetriebene Zug fuhr übrigens am 1. April 1910 von Bitterfeld nach Dessau. Und als nach dem Krieg alles raus und als Reparationsgut nach Russland musste, erzählt Scholtz, hat sich in ganz Deutschland bis zur erneuten Inbetriebnahme 1954 kein Zugrad elektrisch gedreht.

24 Jahre hat er in diesem Kraftwerk gearbeitet und irgendwie hat er sein Herz drangehängt. "Das ist schon schöne, handfeste Technik", sagt der Mann, der für den Bereich Erzeugung zuständig war. Schaltwarte, Netzschutz, Instandhaltung - das zum Beispiel unterstand ihm. Und da kennt er sich noch heute bestens aus. Vieles im Domizil des Vereins, das die Männer neben dem Feuerwehrdepot in Friedersdorf ausgebaut haben, hatte damit zu tun: Sicherungen, Regler, Armaturenblöcke, Prüfinstrumente, Generatoren, Notstromaggregat, Dampfturbine, riesige robuste Blitzableiter, ein Stück Freileitung. Und das absolute Schmuckstück, nach den Worten der Friedersdorfer Technik-Freaks eine wahre Rarität: ein Quecksilber-Gleichrichter. "Den haben wir gerettet", sagt Scholtz ganz stolz und nimmt die Plastikplane, unter der das gute Stück steht, ab. Radmacher lässt ihn und das wertvolle Gerät nicht aus dem Blick. "Davon gab es im Kraftwerk zwei Stück. Eins davon ist im Verkehrsmuseum München."

Auch Franz-Ferdinand Radmacher hat sein Herz an die Bahn verloren. Er hat dort gelernt. Und eigentlich, sagt er, wollte er auch im Kraftwerk anfangen. Aber dann kam es doch anders. Er ging ins CKB und später wurde er der Bürgermeister in Friedersdorf. Doch nach dem Motto "einmal Eisenbahner, immer Eisenbahner" ist seine Hingabe geblieben. Die teilt er im Verein mit 18 weiteren Männern. Sie schrauben, putzen, reparieren, gestalten, tüfteln und bauen. Und sie erschließen sich in ihrem Metier immer neues Wissen. Obwohl - was gibt es noch, was sie nicht schon wüssten? "Wir machen auch Ausflüge - in Technik-Museen zum Beispiel. Dieses Jahr waren wir in Dresden im militärhistorischen Museum", sagt Radmacher.

Außerdem gibt es auch hier in Friedersdorf viel zu tun. In ihrer "Außenstelle" am Stausee. Dort stehen vor allem die Fahrzeuge, inzwischen auch solche, die weniger mit dem Kraftwerk zu tun haben. 80 Prozent aller ihrer Exponate, sagt Scholtz, sind funktionsfähig. Da steckt eine Menge Arbeit drin. Aber das macht das schöne Gefühl wieder wett, das sie haben, wenn die Leute staunend die Technik betrachten. "Wir suchen immer weiter Mitglieder - vor allem junge Leute", sagt der Vereinsvorsitzende Radmacher.

Jeden Freitag treffen sich die Kraftwerksfreunde um 16 Uhr in ihrem Vereinshaus neben der Feuerwehr in Friedersdorf.