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Filmfabrik Wolfen Filmfabrik Wolfen: Streit der Erfinder um vollsynthetische Faser

Von Ehrhard finger 26.02.2014, 18:10
Im Wolfener Textiltechnikum wurde die PAN-Faser zu textilen Geweben verarbeitet.
Im Wolfener Textiltechnikum wurde die PAN-Faser zu textilen Geweben verarbeitet. Ifm Lizenz

Wolfen/MZ - Am Anfang steht ein handfester Streit: Ist die Wolpryla-Faser das Kind der Wolfener oder der Wissenschaftler von Du Pont? Wer kann sich den Erfolg auf die Fahne schreiben - die Deutschen oder die Amerikaner? Fakt ist: Josef V. Sherman von Du Pont hatte sein Verfahren zum Spinnen von Polyacrylnitril (PAN)-Fäden mit dem US-Patent 2404714 erst am 4. November 1944 angemeldet - genau zwei Jahre später als Herbert Rein von der Filmfabrik.

Die Polyacrylnitrilfaser - in der DDR bekannt unter dem Namen Wolpryla - wird im Jahr 1942 in der Filmfabrik Wolfen entwickelt. Sie ist nach der Perlon-bzw. Dederonfaser die zweite in Wolfen hergestellte vollsynthetische Faser, die für die textilen Zwecke verwendbar ist.

Die entscheidende Entdeckung zu ihrer Verarbeitung hat der Wissenschaftler Herbert Rein gemacht. Nach zehn Jahren Forschung war es ihm gelungen, das entscheidende Lösungsmittel zu finden, das die Ausarbeitung des Produktionsverfahrens erst möglich machte.

Herbert Rein hatte bereits 1931 als Mitarbeiter der „Kunstseidentechnischen Zentrale“ der I.G. Farben in Berlin mit der Faser-Forschung begonnen.

Patentlage ist eindeutig

Doch obwohl bereits 1942 in Wolfen das erste praktisch ausführbare Verfahren zum Verspinnen des PAN von einem Forscherteam unter Leitung von Rein in den Grundzügen ausgearbeitet worden war, kam die erste Faser 1948 in den USA unter dem Namen Orlon auf den Markt. Es ist ein Beispiel, wie deutsches Know how in den Nachkriegsjahren behandelt und weltweit genutzt wurde. Die Patentlage in diesem Falle indes ist eindeutig, doch in den Nachkriegswirren in Unkenntnis oder absichtlich falsch bewertet worden.

Im Herbst 1953 schließlich kam die Wolfener Polyacrylnitrilfaser unter dem Warenzeichen Wolcrylon bzw. Wolpryla in den Handel. Diese Verspätung hat einen Grund: 1943 wurden in Wolfen die Arbeiten wegen anderer „kriegswichtiger Aufgaben“ unterbrochen.

Und so ist es nicht verwunderlich, dass Herbert Rein schier die Augen übergingen, als er die amerikanische Zeitschrift Textile World Nr. 3 des Jahres 1947 in den Händen hielt und die amerikanische PAN-Story las. Schließlich war er es, der 1942 in der Filmfabrik nach über zehn Jahren Forschung das entscheidende Lösungsmittel gefunden hatte, das die Ausarbeitung des Verfahrens zur Fertigung der PAN-Faser erst möglich machte. Zwar bestätigte der Amerikaner Sherman, dass die ersten Forschungsarbeiten zur Entwicklung dieser Faser von der I.G. Farbenindustrie in Deutschland - gemeint war die Filmfabrik Wolfen - durchgeführt worden waren, doch schrieb er keck „die deutschen Verfahren wurden jedoch als undurchführbar befunden“.

Forschungen beginnen 1931

Herbert Rein hatte bereits 1931 als Mitarbeiter der „Kunstseidentechnischen Zentrale“ des I.G. Farbenkonzerns in Berlin mit entsprechenden Forschungen begonnen. Nachdem die Forschung auf dem Chemiefasergebiet 1931 in der Filmfabrik konzentriert worden war, zog er von Berlin nach Wolfen und forschte hier weiter. Bis Anfang der vierziger Jahre suchte er vergeblich nach einer Lösung des PAN-Problems.

Da Polyacrylnitril sehr wärmebeständig ist und nicht schmilzt, kam nur ein ganz bestimmtes Verfahren in Frage - das so genannte Trockenspinnverfahren: Die Fasern werden aus der Spinnlösung heraus versponnen und anschließend getrocknet. Dabei wurde eine Vielzahl von Lösungsmitteln, u.a. Schwefelsäure, getestet. Doch sämtliche Verfahren erwiesen sich aus ökonomischen bzw. technologischen Gründen als Flop. 1942 gelang Rein endlich das, wonach er gesucht hatte: Dimethylformamid brachte den Durchbruch. Die Chemikalie bot beste technische Voraussetzungen zur Ausarbeitung eines Spinnverfahrens. Und auch der Herstellungspreis des Lösungsmittels war Spitze. Er erlaubte die Fertigung einer Textilfaser, die mit den etablierten synthetischen Nylon- und Perlonfasern hätte konkurrieren können. Mit dem Deutschen Reichspatent (DRP) 915034 vom 13. April 1942 ließ sich Rein dieses Verfahren schützen.

Besetzung der Filmfabrik 1945

In der Zeitschrift „Angewandte Chemie“ Nr. 6 (1948) gab er bekannt, dass Ende 1943 die Forschung abgeschlossen ist. „Wenn es im Laufe des Jahres 1944 nicht mehr zur Aufnahme der geplanten Versuchsproduktion in Deutschland (Wolfen, d.R.) gekommen ist, ... so hängt dies lediglich mit der Entwicklung der Dinge ... in den letzten vier Jahren zusammen“, schrieb er. Und Professor Hermann Klare, in den 30er Jahren in der Faserforschung der Filmfabrik tätig, und langjähriger Präsident der Akademie der Wissenschaften der DDR, gab ihm Recht. Er schrieb in seinem Buch zur Geschichte der Chemiefaser, dass es „wissenschaftlich korrekt und menschlich fair gewesen wäre, wenn Sherman zwei Jahre nach Kriegsende die Prioritätsverhältnisse beachtet“ hätte. Hinzu kommt, dass bei der Besetzung der Filmfabrik 1945 „die US-Amerikaner die entsprechenden Laborunterlagen beschlagnahmt und abtransportiert“ hatten - so Professor Karl M. Kösslinger, damals stellvertretender Direktor des Chemiefaserbereiches der Filmfabrik, in seinen Erinnerungen zum Abfluss des Knowhows zur Wolfener PAN-Faser.

Während die Vorbereitungen zur Aufnahme der Versuchsproduktion in Wolfen 1943 kriegsbedingt unterbrochen wurden, arbeitete man im US-Unternehmen Du Pont weiter an der Einführung der Faser. Und so kam es fernab der Wiege der entscheidenden Erfindung in Wolfen zur ersten Produktion in den USA.

Herbert Rein
Herbert Rein
Ifm Lizenz