Filmfabrik Wolfen Filmfabrik Wolfen: Hier wurde die erste synthetische Faser der Welt entwickelt

Wolfen - Er ist einer der wichtigen Köpfe der Faserforschung: Emil Hubert entwickelte in der Filmfabrik Wolfen die erste vollsynthetische Textilfaser der Welt. Der Chemiker befand sich in der Blüte seines Lebens, als er im zweiten Weltkrieg bei Kämpfen in der Region in der „Aue“, dem heutigen „Saalegaster Forst“, zu Tode kam.
Emil Hubert (1887 - 1945), in Mainz geboren, studierte in Freiburg Chemie und promovierte 1911. Quasi von der Uni weg wurde er im I.G. Werk Bayer in Wuppertal-Elberfeld eingestellt. Sein Augenmerk lag auf der Modifizierung von Zellulose. 1930 wechselte er in die Filmfabrik Wolfen.
Hubert arbeitete am Ausbau der Filmfabrik zum Forschungzentrum mit
Der inzwischen branchenerfahrene Chemiker übernahm die Leitung des Wissenschaftlichen Laboratoriums Kunstseide. Aufgabe der Leute hier war, die in Wolfen seit 1922 produzierte Viskosekunstseide qualitativ zu verbessern.
Gleichzeitig arbeitete Hubert am Ausbau der Chemiefaserforschung der Filmfabrik zum Forschungszentrum mit. Das zog fähige Wissenschaftler von Hochschulen, Universitäten und der Industrie an, die die Chance erkannten, in der Filmfabrik Wolfen an interessanten Themen unter günstigen Bedingungen forschen zu können.
Auch Emil Hubert hatte offensichtlich frühzeitig die Aufstiegschancen in der Filmfabrik erkannt.
Neue Ära der Textilfasergeschichte
In den Jahren 1931/32 entstanden im Chemiefaserbereich der Filmfabrik zwei wissenschaftliche Laboratorien. Eins davon bekam Hubert übertragen. Er sollte mit seinen Leuten verspinnbare Substanzen finden und Spinntechnologien ausarbeiten.
Nach zwei Jahren war die Arbeit von Erfolg gekrönt: Man konnte eine vollsynthetische Faser auf einer Versuchsanlage erspinnen. Das leitete eine neue Ära der Textilfasergeschichte ein. Die bis dato bekannten baumwollähnlichen Spinnfasern wie Vistrafaser, Viskoseseide und Acetatseide waren aus veränderten Naturstoffen.
PeCe-fase wurde entwickelt
Die Entwicklung der so genannten PeCe-Faser war das Ergebnis einer Kooperation zwischen dem Unternehmen Griesheim Elektron Bitterfeld und der Filmfabrik Wolfen.
Nachdem es gelungen war, diese „Spinnfaser aus Kohle und Kalk“ auch noch industriell herzustellen, präsentierte man sie voller Stolz auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1939.
Hubert übernahm auch Leitung des zweiten Forschungszweiges
1938 übernahm Hubert auch die Leitung des zweiten Wissenschaftlichen Laboratoriums, womit er zu einer zentralen Persönlichkeit der Chemiefaserforschung der Filmfabrik Wolfen wurde.
So war er auch an der Entwicklung der Perlonfaser und deren industrieller Umsetzung beteiligt. Grund genug für die Leitung der Filmfabrik, ihn 1943 zu bitten, seinen Wohnsitz vom bombengefährdeten Dessau in das vermeintlich sichere Jeßnitz zu verlegen.
Leichen wurden in Massengrab gefunden
Die Gartenstraße 26 wurde 1943 das neue Zuhause der Familie. Doch der Gedanke von der vermeintlich höheren Sicherheit erwies sich als Trugschluss: Emil Hubert, seine Ehefrau Gertrud und weitere 27 Menschen kamen am 22. April 1945 bei Kampfhandlungen nahe Jeßnitz ums Leben.
Sie hatten das Wohnhaus verlassen, sich in die „Aue“, ein vermeintlich sicherer Ort, begeben. Hier verloren sie jedoch ihr Leben. Zwei Tage später wurden alle, die hier umgekommen waren, in einem Massengrab, einige auch in Einzelgräbern, in Jeßnitz beigesetzt.
Aus PeCe-Seide wurden Fallschirme gefertigt
Hubert selbst hatte auf tragische Weise an kriegswichtigen Produkten mitgewirkt. Denn die von ihm entwickelte PeCe-Seide war nur bedingt für textile Zwecke einsetzbar. Aber für die Fertigung von Fallschirmen für die Wehrmacht. Ab 1934/35 wurden die produziert.
Wenn derzeit etwa 67 Prozent der weltweit von der Textilindustrie verarbeiteten 90 Millionen Tonnen Fasern und Seiden vollsynthetischer Natur sind, dann ist daran zu erinnern, dass der Chemiker Emil Hubert aus Wolfen 1934 die Ära der vollsynthetischen Fasern einleitete. (mz)