Exotische Ernte im Reaktor
BITTERFELD/MZ. - Und hier nun hat er das alles quasi live erlebt. Lachend meint er: "Ich war der erste Mitarbeiter." In zwischen sind es 100 und drei Azubis. Von der Erschließung der Baustelle im Chemiepark bis heute, da er Geschäftsführer des Unternehmens ist, hat er jede Phase miterlebt. Und ist noch immer "schwer beeindruckt". 20 Kilometer Rohrleitungen und 100 Kilometer Kabel stecken unter anderem in der Anlage. Sein Blick folgt den Leitungen hinauf zu den Destillationskolonnen, wo sie sich irgendwo verzweigen. "Das ist absolut kompliziert", kommentiert er und winkt locker ab, "um das verstehen zu können, muss man jeder Rohrleitung nachgehen. Dazu braucht man Fachwissen und Erfahrung."
Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hat das Werk, das zur PV Crystalox Solar Gruppe (England) gehört, den Probebetrieb aufgenommen, auch Forschung und Entwicklung wird hier betrieben. 100 Millionen Euro sind damals investiert worden. Hergestellt wird reinstes Silizium für die Solarindustrie. Bis Jahresende, erklärt Tiefel, fährt die Anlage in Volllast. Das heißt, rund 150 Tonnen Silizium werden im Monat hergestellt. Das teure Metall wird geerntet, wie der Experte es ausdrückt.
Aus Chlorsilanen, die das benachbarte Unternehmen Evonik auf kürzestem Weg per Pipeline liefert und mit dem Crystalox in einem Stoffverbund funktioniert, entsteht in einem komplizierten Prozess das Endprodukt. Es wächst in einem Hochtemperaturreaktor bei weit über 1 000 Grad auf speziellen Siliziumstäben heran. Alles ist hier top secret, sagt Tiefel, und fotografieren schon gar nicht erlaubt. Zahlen und Mengen behält er auch für sich. Doch in einen Reaktor hineinschauen - da macht er schon mal eine Ausnahme. Aber stopp: Ganz so einfach geht das nicht. Der Chef bringt einen Spezialhelm mit verdunkelter Sichtscheibe. Überhaupt wird Sicherheit in dem Chemiebetrieb ganz groß geschrieben: die Kleidung ist flammgeschützt, Helm und Schutzbrille gehören zur Pflichtausrüstung und eine Atemschutzmaske trägt auch jeder mit sich herum.
Im Reaktor bietet sich inzwischen ein höllisch faszinierendes Bild: Orange-rot glühen die aufrecht stehenden Silizium-Stäbe, an denen sich das Silizium abscheidet - ein bisschen unregelmäßig wie Sand auf einer Kleckerburg. In mehreren Tagen vervielfacht sich so allmählich die Schicht bis zu baumdicken Stäben. "Die Chlorsilane zersetzen sich bei dieser hohen Temperatur und das Silizium wird an den Stäben abgeschieden", erklärt der Chemieingenieur den Prozess. "Fünf bis sechs Tonnen pro Tag." Doch die Finger macht sich in der hochmodernen Anlage keiner mehr schmutzig, hier steuert der Computer die Prozesse.
Das Schauspiel vor Augen und den geschätzten Energieverbrauch im Hinterkopf ist es schwer vorstellbar, dass ausgerechnet das Element Silizium nach Sauerstoff das zweithäufigste ist, das auf der Erdoberfläche vorkommt. Doch so ohne weiteres gibt es die Natur nicht als reines Element frei.
Die bewachsenen Stangen schließlich werden gebrochen und dann an das Schwesterunternehmen in England geliefert. Dort werden sie zu Blöcken verarbeitet, aus denen im dritten Unternehmen der Crystalox-Gruppe in Erfurt multikristalline Wafer hergestellt werden. Wie ein Kamm frisst sich dazu eine spezielle Säge in den Block und trennt hauchdünne Scheiben, die Wafer, ab. Die sind Ausgangsprodukte für Hersteller von Solarzellen und -modulen. Q-Cells beispielsweise ist ein Abnehmer, die Deutsche Solar, Mitsubishi, Sharp.
Der Hauptmarkt für die Produkte aus Bitterfeld ist derzeit der deutsche Markt, sagt Tiefel. Große Kunden gibt es in ganz Europa und in Japan. Dort in Asien hat die Unternehmensgruppe eine Vertriebsorganisation aufgebaut.
Die Gruppe der Siliziumhersteller ist weltweit nicht groß, erklärt Tiefel. "Es gibt vielleicht zehn, die relevant sind. Aber einige sind sehr viel größer als wir. Wir sind ja ein Neueinsteiger." In den vergangenen zehn Jahren hat es auf dem Markt ein enormes Wachstum gegeben. Solar - das hat geboomt. Dann die Krise. Der Preisverfall 2009, sagt er, war massiv. "Auch 2010. Das ist vor allem durch die Konkurrenz aus China so." Die Krise habe Crystalox durchaus gespürt - "aber nicht so dramatisch wie manch andere".
"Die Entscheidung der Bundesregierung zur Kürzung der Solarförderung gefällt uns gar nicht. Das berührt uns, weil die Preise für unsere Produkte noch weiter fallen werden. Und das werden nicht alle überleben. Diese falsche Entscheidung wird den Produktionsstandort Deutschland schwächen", so Tiefel. Doch die Crystalox-Gruppe an sich sieht er gut aufgestellt. "Und", sagt er, "wir glauben daran: Solarenergie wird die Energie der Zukunft sein und unsere Firmengruppe wird weiter wachsen."