Jetzt ein Teil der Goitzsche Döberner Eckhard und Marion Füssel erinnern sich an ihr Heimat-Dorf, das es schon lange nicht mehr gibt

Bitterfeld/MZ - Die Erinnerung kommt noch oft: ans Heimatdorf Döbern, das Anfang der 1980er Jahre der Kohle weichen musste. An den erzwungenen Abschied von der Landschaft, den Nachbarn, der Dorfgemeinschaft. Und an den Neuanfang in einem fremden Ort - für Eckhard Füssel und seine Frau Marion ist es Bitterfeld. Ein Ort gleich um die Ecke, doch damals irgendwie so weit ...
Angeregt von der kleinen MZ-Serie „Vor 50 Jahren“ dachten beide dieser Tage mal wieder an Döbern. Und an ihre Schulzeit dort.
„Eines Tages war dann die Straße nach Niemegk nicht mehr da“,
Vor 50 Jahren nämlich ist Schluss mit dem Unterricht und all den Streichen zwischen den Schulbänken in Döbern. 1971 wird die Schule, in der nur noch Kinder der ersten und zweiten Klasse von zwei Lehrerinnen unterrichtet werden, wegen dem Bergbau geschlossen. Während „die Großen“ der dritten und vierten Klasse schon in Niemegk und als dort die Kohlebagger anrücken, in Friedersdorf zur Schule gehen, müssen sich nun auch die Kleinen auf die Strümpfe machen.
„Eines Tages war dann die Straße nach Niemegk nicht mehr da“, erinnert sich Eckhard Füssel, damals 14 Jahre alt und in der achten Klasse. Plötzlich fährt der „Ikarus“-Bus nun eine neue Strecke. „Das war schon ein einschneidendes Erlebnis.“ So richtig cool finden das die Schüler überhaupt nicht. Immerhin - wieder eine neue Schule, wieder neue Lehrer. Zum dritten Mal schon. „Wieder so rausgerissen zu werden, das war nicht ohne ... Aber die Lehrer wussten genau Bescheid über uns Neue“, sagt Füssel und lacht. „Die hatten sich alle informiert.“
Wer denkt, damals geht es dort anders zu als heute, der irrt
Auch Ehefrau Marion, eingeschult in Döbern, erinnert sich an diese Zeit. Sie und ihre Klassenkameraden bringt der Bus nach Mühlbeck. Die Schule ist in Blickweite zur Kirche und zum Dorfteich. Und heute ist sie ein Antiquariat im Buchdorf. „Für uns Kinder fuhren extra Schulbusse. Zusätzlich zu den reguläre“, erzählt sie und hebt den Finger. „Das war wirklich noch richtig luxuriös.“
Apropos Schulbus: Wer denkt, damals geht es dort anders zu als heute, der irrt. Denn auch damals gibt es eine kleine Rangordnung. Füssel, der als Jugendlicher meist schon mit dem Moped zum Unterricht fährt, schüttelt den Kopf und lacht. „Da durfte nicht jeder auf jeden Platz, jeder hatte schon seinen. Meistens haben wir im Anhänger vom Bus gesessen. Manchmal ist auch die Schlenkerzicke gekommen.“ Und das Beste aus Schülersicht: Bei Glatteis kommt gar keiner. Da geht’s wieder heim. „Schön für uns“, meint Marion Füssel und kann heute noch die Freude der Kids nachvollziehen.
Eckhart Füssel ist das Erinnern an Döbern längst eine Aufgabe geworden
Sie und die anderen Döberner Kinder, die immer die Dazugekommenen sind, bilden die B-Klasse. „Die Einheimischen hatten es natürlich gut: Wenn mal Unterricht ausfiel, konnten die heim. Aber wir mussten immer aushalten, bis der Bus kam.“ Insbesondere lobt sie den Hort in Mühlbeck. An den erinnere sie sich noch. Und daran, dass die Schüler oft von Mühlbeck nach Friedersdorf laufen mussten - zum Sport zum Beispiel und zum Unterricht in der Produktion. Der wurde im Eisenbahn-Kraftwerk in Friedersdorf abgehalten.
Eckhart Füssel ist das Erinnern an Döbern längst eine Aufgabe geworden. Zusammen mit Annemarie Weigert, die für das alljährliche Döbern-Treffen die Fäden in der Hand hält, die Dokumentationen und Bücher verfasst (unter anderem „Döbern, das Dorf an der Mulde“), organisiert er die zum Treffen gehörenden Fotoausstellungen, deren Bilder zu vielerlei ernsten wie fröhlichen Gesprächen anregen. Zwei Jahre fiel es wegen Corona aus. „Wir planen wieder für nächstes Jahr.“ Die Döberner finden es wichtig, das zeigt auch der Anklang, den das Treffen stets findet. „Es werden ja auch immer weniger Leute, die Döbern noch kennen“, sagt er.