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Brandbomben aus Bitterfeld Brandbomben aus Bitterfeld: Günter Matter bringt Licht in düsteres Kapitel der Stadt

Von Robert Martin 23.11.2019, 13:00
Die auch durch Brandbomben aus Bitterfeld nahezu vollständig zerstörte Innenstadt von Coventry (England)
Die auch durch Brandbomben aus Bitterfeld nahezu vollständig zerstörte Innenstadt von Coventry (England) Imperial War Museum

Bitterfeld - Bitterfeld-Wolfen ist für Erfindungen bekannt, die bis heute genutzt werden. So wurde ab 1913 auf dem Gelände der „IG Farben“ der Kunststoff PVC hergestellt, 1936 präsentierte die Agfa-Filmfabrik in Wolfen den weltweit ersten Farbfilm. Diese Materialien nützen der Menschheit bis heute.

Allerdings gibt es auch Erfindungen aus der Chemiestadt, die weniger friedlichen Einfluss auf die Geschichte hatten. Unter ihnen: Brandbomben. In einem Feuersturm können sie Städte vernichten, machen keinen Unterschied zwischen Fabriken und Wohnungen.

Doch was haben Brandbomben und Bitterfeld-Wolfen miteinander zu tun? Um das zu erklären, ist der Hobbyhistoriker Günter Matter nach Wolfen ins Industrie- und Filmmuseum gereist. Sein Buch „Elektron: Geschichte und Renaissance eines außergewöhnlichen Metalls“ ist jüngst erschienen, nun gibt er in seiner Heimatstadt einen Vortrag zum Thema „Elektron-Bomben aus Bitterfeld“. Was ist Elektron?

Durch die „IG Farben“ wurden ab 1935 Elektronbomben hergestellt

Elektron besteht zu 90 Prozent aus Magnesium und zu zehn Prozent aus Aluminium. 1908 wurde die Legierung von der Firma „Griesheim-Elektron“ in Frankfurt am Main entwickelt. Durch die „IG Farben“ auf dem heutigen Gelände des Chemieparks wurden ab 1935 Elektronbomben hergestellt, allerdings baute man anfangs nur die Bombenhülsen.

Doch wissen sollte das niemand. Die Produktion fand im Geheimen statt, die ungefüllten Bomben wurden als „Spinnhülsen“ getarnt. Für die Füllung der Bomben wurde 1939 sogar eine neue Magnesium-Pulverfabrik in Bitterfeld in Betrieb genommen.

Die in Bitterfeld produzierte und mit einem Kilogramm recht leichte Elektron-Bombe „B1E“ war mit einem schnell entflammbaren Brandsatz gefüllt und zündete beim Aufschlag. Sie bestand fast ausschließlich aus brennbaren Materialien - der eigentliche Brandsatz war das Elektron-Gehäuse, das nach der Entzündung als weißglühende Metallschmelze verglühte. Beim Versuch, einen durch Elektron-Bomben verursachten Brand mit Wasser zu löschen, kam es zu einer gewaltigen Explosion.

Der erste Abwurf der Bitterfelder Brandbomben im Krieg erfolgte am 25. September 1939 in Warschau

Nur mit Sand konnten die bis zu 2.200 Grad heißen Flammen effektiv abgedeckt werden. Der erste Einsatz der Bitterfelder Brandbomben gegen bewohnte Ziele fand bereits zweieinhalb Jahre vor Kriegsbeginn statt: Am 26. April 1937 setzte die deutsche Luftwaffe im spanischen Bürgerkrieg erstmals die „B1E“ über dem baskischen Guernica ein.

Über 2.500 Brandbomben fielen, die Kleinstadt brannte fast komplett ab. Der erste Abwurf im Krieg erfolgte am 25. September 1939 in Warschau, besonders zerstörerisch war außerdem die Bombardierung von Coventry (England, siehe Foto) mit circa 36.000 Brandbomben am 14. November 1940.

Hierbei fand eine neue Strategie Anwendung: Zuerst wurden die Dächer mit Luftminen weggesprengt und danach Brandbomben abgeworfen. Im Stadtzentrum blieb dadurch kaum ein Gebäude unbeschädigt. Goebbels nannte diese perfide Methode „coventrieren“. Allerdings waren die Deutschen nicht die Einzigen, welche die Vorteile von Elektron für die Kriegsführung erkannten: Ab 1936 entwickelten auch die Briten eine Brandbomben-Version.

„Der Feuersturm wurde von den Deutschen entfacht, die Engländer haben es nachgemacht“

„Der Feuersturm wurde von den Deutschen entfacht, die Engländer haben es nachgemacht“, sagt Günter Matter: „Warschau, Guernica, Coventry - man könnte noch viel mehr Städte benennen, auch deutsche.“ So wurden über Dresden während des Luftangriffs am 13. Februar 1945 mehr als 650.000 britische Elektronbomben abgeworfen. Die Liste der Beispiele ist viel zu lang.

Mit dem Potsdamer Abkommen 1945 wurde die Produktion von Magnesiumerzeugnissen zwar verboten und die in Bitterfeld-Wolfen ansässigen Fabriken abgebaut und gesprengt. Damit endete ein düsteres Kapitel Bitterfelder Geschichte - Brandbomben werden jedoch bis heute in Kriegen überall auf der Welt eingesetzt. (mz)

Günter Matter wurde 1947 in Wolfen geboren und lebt in Erfurt. Nach der Ausbildung als Mechaniker mit Abitur an der Filmfabrik Wolfen studierte er an der TH Leuna-Merseburg Verfahrenstechnik. Nach dem Diplom war er dort als Assistent tätig und trat 1976 in das für die Filmfabrik Wolfen arbeitende Forschungslabor ein, wo er 1978 zum Doktor-Ingenieur promovierte.

Danach wechselte er zur Filmfabrik in den Bereich der Technologischen Forschung. Nach der Wende baute er mit einigen Mitarbeitern seiner Abteilung die FEW GmbH auf, die er 1995 verließ, um sich als Energieberater selbstständig zu machen. Als Redakteur der Zeitschrift „Ingenieur-Nachrichten“ stieß er 2015 auf das Thema „Elektron aus Bitterfeld“.

Das Verwaltungsgebäude der „IG Farben“ in Bitterfeld
Das Verwaltungsgebäude der „IG Farben“ in Bitterfeld
André Kehrer
Günter Matter beim Vortrag im Wolfener Filmmuseum.
Günter Matter beim Vortrag im Wolfener Filmmuseum.
André Kehrer
Die in Bitterfeld entwickelte und produzierte Elektron-Brandbombe B1
Die in Bitterfeld entwickelte und produzierte Elektron-Brandbombe B1
Otto Hollbach