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Bitterfelder Kreismuseum Bitterfelder Kreismuseum: Rätsel des Weihnachtsbergs

Von Frank Czerwonn 24.12.2015, 08:43
Eine bunte Weihnachtswelt auf 70 mal 34 Zentimeter: der Weihnachtsberg im Kreismuseum. Mitarbeiter Steven Pick hat einige Fakten über den Erbauer E. Gierth entdeckt. Dieser hat aus damaligem Alltagsmaterial faszinierenden Detailreichtum geschaffen (r.o.). Die Elektrik ist auf der Rückseite versteckt (r.u.).
Eine bunte Weihnachtswelt auf 70 mal 34 Zentimeter: der Weihnachtsberg im Kreismuseum. Mitarbeiter Steven Pick hat einige Fakten über den Erbauer E. Gierth entdeckt. Dieser hat aus damaligem Alltagsmaterial faszinierenden Detailreichtum geschaffen (r.o.). Die Elektrik ist auf der Rückseite versteckt (r.u.). André Kehrer Lizenz

Bitterfeld - Märchenfiguren und Heiland, Pyramide und Krippe, Christkind und Weihnachtsmann, Schlittenfahrt und Glockenklang - jedem fällt beim Stichwort Weihnachten etwas anderes ein. Doch im Bitterfelder Kreismuseum steht eine Rarität, die all das wundersam vereint: ein Weihnachtsberg.

Ein was? Museumschef Uwe Holz schmunzelt und zeigt auf ein verhülltes Exponat im Fundus. Als das schützende Tuch fällt, kommt ein Wunderwerk zum Vorschein: eine auf mehreren Ebenen sich ausbreitende Landschaft mit vielen weihnachtlichen Szenen. Überraschend, kurios, verspielt. Man weiß gar nicht, wohin zuerst schauen. Und entdeckt nur auf den zweiten Blick, wieviel Technik zugleich darin steckt. Ein bisschen erinnert das alles an Modelleisenbahnanlagen - bloß in die Höhe gebaut. Doch der Ursprung ist ein anderer.

„Das historische Vorbild ist das Buckelbergwerk aus dem Erzgebirge“, weiß Holz. Dabei handelte es sich um einen transportablen Schaukasten aus Holz mit zwei Klappen - fast wie ein Flügelaltar. „Er gab Einblick in ein Bergwerk, war reich ausgestattet mit Figuren und Details des Bergbaus und wurde mechanisch betrieben. Da hämmerten die Steiger, fuhr ein Korbfahrstuhl hoch und runter.“ Auf Jahrmärkten seien solche Buckelbergwerke ein Hit gewesen.

Holz wundert es nicht, dass ausgerechnet der Bergbau solch mechanische Kleinkunst hervorgebracht hat. Er sieht den Bergbau als Mutter aller Technik. „Allein für die Bewetterung, also die Belüftung der Schächte, haben sie sich unglaubliche mechanische Geräte einfallen lassen.“ All das habe man hier ins Kleine umgesetzt. „Es wurde quasi zur Feinmechanik.“ Im 19. Jahrhundert tauchten dann zwischen den Bergbaumotiven auch weihnachtliche Dinge auf. So entstanden schließlich die Weihnachtsberge. Diese wurden in der Adventszeit in den Wohnhäusern aufgestellt.

Doch der Weihnachtsberg im Kreismuseum ist ein ganz besonderer - und geheimnisvoller. Denn er ist kein prunkvolles Exemplar mit perfekten Figuren, Gebäuden und Szenerien. Sondern eher eine Improvisation, ein faszinierendes Stückwerk, in dem alles zweitverwertet wurde, was sich gerade anbot. Gerade dies aber offenbart umso mehr die Fantasie und Kreativität seines Schöpfers.

Doch wer war er? Bis vor kurzem war das ein Rätsel. Denn die alte Registrierungsnummer auf der Rückseite brachte kein Licht ins Dunkel. Dafür half nun aber ein anderer Vermerk: „1948 - 51 E. Gierth“ steht da in leicht verschnörkelter Handschrift. Museumsmitarbeiter Steven Pick hat daraufhin gesucht und eine alte Karteikarte gefunden. Die verrät, dass „Herr E. Gierth“ bis 1948 in Afrika in Gefangenschaft war und nach seiner Rückkehr begann, den Weihnachtsberg aus Holz zu bauen. Gierth war Installateur und hat seine Afrikaeindrücke mit verbaut. „Der Weihnachtsberg war ein Geschenk für seine Tochter“, so Pick. Offenbar haben die Gierths im Kreis Bitterfeld gelebt. In den 70er Jahren soll der Weihnachtsberg dann ins Museum gekommen sein.

Entstanden ist er also in der Nachkriegszeit, als alles knapp war, Lebensmittel ebenso wie Kohle oder Material. Erst recht für solch einen Zeitvertreib wie einen Weihnachtsberg. Denn praktischen Nutzen hatte er nicht. „Er diente nur einer Sache: Freude zu verbreiten.“ Und das hat dieses 70 Zentimeter breite Exemplar zweifellos getan.

Als erstes fällt die Pyramide auf. Die Umrandungen ihrer Ebenen sind aus alten Sägeblättern gebastelt. Statt der Flügel ziert sie oben ein metallener Stern, an dem Engel mit Posaunen schweben. Dennoch ist dieser Weihnachtsberg ein buntes Sammelsurium. Christliche und weltliche Weihnachtsmotive mischen sich wundersam. So drehen sich auf der Pyramide harmonisch Christkind und Knecht Ruprecht.

In der Mitte zieht eine Karawane mit den Königen durch die Wüste - flankiert von Palmen. Eine Etage drüber thronen Nadelbäume über einer verschneiten Rodelbahn mit Schlitten. Dahinter lockt die Hexe Hänsel und Gretel ins Pfefferkuchenhaus. Rechts bevölkern Maria, Joseph und die Hirten die Krippe, in deren Türmchen Engel und Weihnachtsmann die Glocken läuten. Selbst schriftlich wird es allen recht gemacht: Links steht „Fröhliche Weihnachten“, rechts „Ihr Kinderlein kommet“. Sogar der Coca-Cola-Weihnachtsmann taucht auf.

„Hier passieren ganz viele Sachen gleichzeitig“, lobt Holz. Die Augen könnten spazierengehen und ständig Neues entdecken in diesem Detailreichtum. Und dann bewegt sich auch noch alles mögliche: die Pyramide dreht sich, die Schlitten sausen hinab, die Lichter leuchten - zumindest theoretisch. Praktisch ist der Berg seit Jahren nicht in Betrieb gewesen. Die Rückseite offenbart einen E-Motor aus den 30er Jahren. Zudem ist alles exakt beschriftet: Licht 3,5 Volt, Antrieb 4 Volt. Als Transmissionsriemen für die Antriebsräder dient simple Paketschnur ebenso wie ausgeleiertes Gummiband. „Hier war jedenfalls ein deutscher Handwerker am Werk“, sagt Holz schmunzelnd über Gierth.

Aber ob der Weihnachtsberg je wieder funktionieren wird? „Vielleicht ist das technisch möglich“, so Holz. Doch müsste er komplett überarbeitet werden. Also sei die erste Frage: Was genau möchte man mit dem Unikum künftig machen? „Man kann solche Sachen auch kaputtrestaurieren und ihren Charme zerstören.“

So bleibt vorerst nur das Staunen über das historische Wunderwerk, in dem viel Arbeit steckt. „Sowas stampft man nicht in den zwei Wochen vor Weihnachten aus dem Boden“, meint Holz. Eher wurde jedes Jahr weiter daran gebastelt. „Ich bin mir sicher, dass Gierth einen Heidenspaß hatte beim Konstruieren“, so Holz. „ Auf jeden Fall hatte er technischen Verstand und Kreativität. Und das passt doch wunderbar in die hiesige Industrieregion.“ (mz)