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Bitterfeld Bitterfeld: Einige Baustellen hätte er gern noch fertig gestellt

Von UTE HARTLING-LIEBLANG 11.01.2011, 16:54

BITTERFELD/KÖTHEN/MZ. - Den Ort für seinen Abschied aus der Landkreisverwaltung Anhalt-Bitterfeld hat Reinhard Thiel mit Bedacht gewählt. Etwa 130 Einladungen hat er für die Feier im Bitterfelder Kulturpalast verschickt. Im selben Raum, in dem er am 31. Mai 1990 zum ersten Bitterfelder Landrat nach der Wende gewählt wurde, sagt er nun, am 12. Januar 2011, seinen engsten Weggefährten adé.

Der Abschied aus dem Büro in der Bitterfelder Richard-Schütze-Straße, ist zugleich ein Abschied von seiner Geburtsstadt Bitterfeld.

In der Chemiearbeiterstadt wurde Reinhard Thiel am 20. Januar 1951 geboren. Hier ging er zur Schule, erlernte den Beruf des Rohrleitungsmonteurs, wurde nach dem Studium in Magdeburg Abteilungsleiter Schweißtechnik im Industrie- und Kraftwerksrohrleitungsbau (IKR) und lenkte nach der politischen Wende von 1990 bis 1994 als Landrat die Geschicke des Kreises Bitterfeld.

Kurz vor dem letzten Arbeitstag im Amt für Brand- und Katastrophenschutz blickt Reinhard Thiel zurück und sagt: "Die Arbeit gehört zu meinem Leben, ich fühle mich noch fit und deshalb tut dieser Abschied auch ein wenig weh." Nach 40 Jahren aus dem Arbeitsleben zu scheiden, fällt Thiel nicht leicht. Da sind noch "einige Baustellen", die er gern fertig übergeben hätte. Die flächendeckende Einführung des Digitalfunks in Anhalt-Bitterfeld zum Beispiel. "Dort liegen wir landesweit zwar vorn, aber es ist noch nicht alles in trockenen Tüchern." Und auch das Zusammenspiel der Kommunen bei der Neustrukturierung des Katastrophenschutzes hätte Thiel gern noch ein Stück weit mit voran gebracht.

Über Mangel an Arbeit konnte sich der Amtsleiter in den letzten Tagen nicht beklagen. Wieder ist es ein Hochwasser - wenn auch nicht vergleichbar mit dem des Jahres 2002 - das ihn bis zum letzten Tag in Bewegung hält.

2002 wurde Reinhard Thiel, damals noch Amtsleiter Gebäudemanagement beim Landkreis Bitterfeld, die Leitung des Hochwasser-Krisenstabes übertragen. "Ich muss das wohl ganz ordentlich gemacht haben", sagt er, denn kurz darauf habe ihn Landrat Uwe Schulze gebeten, das Amt für Brand- und Katastrophenschutz (ABK) zu übernehmen, dem er seither vorsteht. Zunächst "schweren Herzens", wie er gesteht. "Im Gebäudemanagement waren wir eine gute Truppe." Selbiges sagt er übrigens von den Kollegen beim ABK. Hier war es vor allem der Aufbau einer modernen Rettungsleitstelle, die Thiel herausforderte.

Etwas Neues aufbauen - nicht im Alleingang, sondern gemeinsam mit anderen - das ist es, was Reinhard Thiel 40 Arbeitsjahre lang angetrieben hat. Die politische Wende hat er als große Chance gesehen. Seit 1975 Mitglied der CDU, gehörte er 1989 zu denen, die sich in Bitterfeld an die Spitze der politischen Veränderungen stellten. Und er kniff auch nicht, als man ihm nach dem überraschenden Wahlsieg der CDU antrug, das Amt das Landrates zu übernehmen. "Im IKR hatte ich meinen Traumjob gefunden", blickt er zurück. Den hätte er bis zur Rente gemacht, wäre die Wende nicht gewesen.

"Wenn ich heute Azubis, die zu uns kommen, nach dem Silbersee in Bitterfeld frage, wissen die keine Antwort", beschreibt Thiel, worum es ihm 1990 ging. Seine Heimatstadt Bitterfeld sollte ihr Negativ-Image für immer ablegen. "Der Silbersee", erklärt er, "war die Kloake Deutschlands." Ein Sammelbecken industrieller Abprodukte.

Zusammen mit den Demonstranten auf der Straße forderte Thiel damals auch die Abschaltung der "gelben Fahne", jenes Schornsteins am Chemiekombinat, der mit seinem gelblichem Rauch die Luft verpestete.

Thiel saß mit am Runden Tisch. Es war wohl der Wende-Taumel, die Euphorie, endlich etwas aus eigener Kraft gestalten zu können, die ihn mitriss und bewog, für den Wolfener Stadtrat und den Kreistag zu kandidieren. "Eine wunderbare Zeit", sagt der nun fast 60-Jährige über den Wahlkampf.

Ein wenig Angst war dabei

Es war am 17. Mai 1990, als sich Reinhard Thiel bei einer Beratung im Büro der CDU-Fraktion in der Walter-Rathenau-Straße entschloss, Spitzenkandidat seiner Partei zu werden. Den Anstoß dafür gab Margarete Latuzynski, damals CDU-Ortsvorstand in Bitterfeld und später Bildungsdezernentin in der ersten Bitterfelder Kreisverwaltung.

"Ein bisschen Angst vor der neuen Aufgabe hatte ich schon", blickt Thiel zurück, zumal die gerade verabschiedete Kommunalverfassung in Sachsen-Anhalt einer Verwaltung nach niedersächsischem Muster die Absage erteilte. Statt Landrat im Range eines Kreistagsvorsitzenden, wie es Thiel nach niedersächsischem Muster vorschwebte, wurde er Landrat im Rang des Hauptverwaltungsbeamten. "Über Nacht war ich plötzlich auch zuständig für das Bitterfelder Krankenhaus, die Poliklinik und Vorstand des Verwaltungsrates der Sparkasse", beschreibt er die Situation. Was Thiel am ersten Arbeitstag beim ehemaligen Rat des Kreises vorfand, war eine völlig veraltete Verwaltung, in der es keinen Computer gab wie in seinem Büro beim IKB, sondern nur alte Fernschreiber.

Bei der Bevölkerung wieder Vertrauen in die Verwaltung aufzubauen, der er nun vorstand, wurde sein oberstes Ziel. Wie das gelingen könnte, darüber grübelte der frisch gebackene Landrat in seinem neuen Büro in der Bitterfelder Mittelstraße ganz allein nach. "Ich hatte zwei Möglichkeiten", sagt er: "Den Weg mit einer völlig neuen Mannschaft zu gehen oder mit den Mitarbeitern des ehemaligen Rates des Kreises." Reinhard Thiel entschloss sich für den zweiten Weg. "Mir kam die spontane Idee, mich an die Pforte zu stellen und jeden Mitarbeiter persönlich zu begrüßen." Was sich dabei in den Gesichtern abspielte, reichte von Erstaunen über Angst bin hin zu Hoffnung, beschreibt Thiel. "Ich wollte damit ein Zeichen setzen, wer beim Neuanfang mitmachen will, ist herzlich willkommen. Ausgenommen Leute mit Stasi-Vergangenheit."

Es folgten Monate, voll gestopft mit Schulungen für die Verwaltungsmitarbeiter. Lösungen für die dringend anstehenden Aufgaben im Schulbau, im Bildungssystem, beim Abwasser oder Straßenbau wollte Thiel gemeinsam mit seinen Mitarbeitern finden. Nicht zu vergessen die enormen Aufgaben in der Industrie und Landwirtschaft.

"Nicht alle Träume von damals sind wahr geworden", gesteht er. Dass die Bitterfelder Industriebetriebe mit ein paar D-Mark wieder flott gemacht werden könnten, erwies sich als Trugschluss. Auch Investoren kamen nicht wie erhofft in Scharen. Das Wolfener Krankenhaus, einst dem Chemiekombinat und der Filmfabrik unterstellt, wurde später per Kreistagsbeschluss aufgegeben, nachdem es der Landkreis übernommen hatte.

Dafür entstand ein moderner Chemiepark, in dem die Altlastenbeseitigung eine große Rolle spielt. "Die Ansiedlungspolitik unter Federführung der Firmengruppe Preiss-Daimler war bisher sehr erfolgreich", schätzt Thiel ein.

Es entstand ein moderner Krankenhausstandort in der Ludwig-Jahn-Straße. Dafür waren Ärzte wie der Bitterfelder Chirurg Reiner Kleber 1990 auf die Straße gegangen. Aus dem nationalen Sonderprogramm bekam die Region Bitterfeld 530 Millionen Mark, die nicht nur in den Krankenhausneubau, sondern auch in den Straßenbau oder den so genannten "Reinluftaufenthalt" für sämtliche Bitterfelder Kinder in einer landschaftlich reizvollen Gegend flossen. Ein Programm, das noch von der De-Maiziere-Regierung ins Leben gerufen wurde.

Freude auf neuen Lebensabschnitt

An dies und mehr wird Reinhard Thiel bei seinem Abschied im Bitterfelder Kulturpalast erinnern und dort auf Menschen treffen, mit denen er ein gutes Stück des Weges gegangen ist und neue politische Strukturen im Altkreis Bitterfeld aufgebaut hat. Seine Gäste hat Thiel gebeten, auf Geschenke zu verzichten und dafür für die Deutsche Krebshilfe zu spenden, zu der er eine enge Beziehung aufgebaut hat, "weil viele aus meiner Familie und von meinen ehemaligen Kollegen an Krebs gestorben sind."

Thiel selbst freut sich auf jeden Tag in Gesundheit, im Kreise seiner drei Kinder und zwei Enkel, auf sein Haus in Kappeln bei Flensburg, das er in Kürze mit Ehefrau Ingrid beziehen will. An der Seniorenakademie will er sich in seine große Leidenschaft, die Politikwissenschaft, vertiefen. Thiel freut sich auf einen Stapel ungelesener Bücher, auf ein spannendes Schachspiel, auf Jogging an der frischen Luft und vieles mehr, was ihm der neue Lebensabschnitt bringen wird, an den er sich erst noch gewöhnen muss.