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Aus einer Welt der Arbeit

25.01.2006, 18:31

Wolfen/MZ/orf. - "Nichts mehr ist zu sehen", sagt Manfred Gill. "Selbst alte Filmwerker haben die Orientierung verloren." Dem absoluten Vergessen setzt der Verein Industrie- und Filmmuseum Wolfen nun ein Büchlein entgegen - den Bildband "Ein Arbeitstag in der Filmfabrik". Nach ihm wurde auch die gleichnamige Ausstellung gestaltet, die momentan noch bis März im Museum erlebt werden kann (die MZ berichtete).

Für die Publikation nun konnte glücklicherweise Manfred Gill als Autor gewonnen werden. Seit 1970 war er als Archivar in der Filmfabrik tätig, heute betreut er weiterhin das umfassende Archiv des Museums. Skizziert wird ein fiktiver Arbeitstag im Jahr 1980. "Dazu", sagt Gill, "hatten wir das meiste Material auch an Fotografien." Die Absicht: Möglichst viele Leute, die hier einmal in den unterschiedlichsten Berufen gearbeitet haben, sollen sich und ihren Arbeitsbereich wiederfinden. "Auf Historisches haben wir verzichtet, auch auf das Thema des Umweltschutzes. Das hätte den Rahmen der Publikation gesprengt."

Möglichst alle Bereiche des ehemaligen Werkes sollten in diesem Bändchen wieder in Erinnerung gerufen werden. Dass den zahlreichen Fotografien keine Bildzeilen zugeordnet wurden, mag nur der Außenstehende als störend empfinden. Doch machen dies die von Gill recherchierten Texte wieder wett, die den jeweiligen Bildkomplexen vorangestellt worden sind. Denn sie enthalten eine Fülle an Informationen, die für das Jahr 1980 gültig waren und ganz sicher auch bei Insidern nicht mehr so im Gedächtnis sind.

Oder weiß heute noch jemand, dass damals täglich 2 367 Filmbeschäftigte am Bahnhof Wolfen ankamen? 2 670 Mitarbeiter mit dem Fahrrad zur Arbeit fuhren? Oder der Elektrokarren ein dienstliches Verkehrsmittel im Werk gewesen ist? Und zwischen 3.30 Uhr und 5.30 Uhr an 200 Orten früh die Wecker klingelten? An diesem Tag im Jahr 1980 hatte die Filmfabrik Wolfen 15 482 Beschäftigte, davon 8591 Frauen.

"Mit dieser Publikation", sagt Gill, "wollen wir keine Ostalgie erzeugen, nur erinnern. Wir wollen zeigen: Hier war mal ein Werk." Und es sei schon erstaunlich, wie viel die Leute bereits vergessen hätten. Zum Beispiel, dass sie beim Betreten des Geländes den Werkausweis vorzeigen mussten. "Wer ihn vergessen hatte, musste sich einen provisorischen ausstellen lassen." Und auch die Kochkiste oder der Tauchsieder (in der Ausstellung zu sehen) gehören zu den bereits vergessenen Details.

Wer sich in dieses Büchlein vertieft, wird viel erfahren. Von einem ganz normalen Arbeitsalltag, der Kinderbetreuung oder Kultur mit einschloss. Der zu einem Stück Industriegeschichte gehört, das es so nicht mehr geben wird.

"Ein Arbeitstag in der Filmfabrik", erhältlich für 10 Euro im Industrie- und Filmmuseum Wolfen.