Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Wo Esra draufsteht, da ist Esra drin
THALHEIM/MZ. - Die fromme Helene hat's gewusst: "Es ist ein Brauch von alters her: Wer Sorgen hat, hat auch Likör!" Regina Loth lacht und nickt. Denn der gute, alte Wilhelm Busch hat damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Wer wüsste das wohl besser als die Chefin der Esra Raguhn? Denn davon lebt das kleine Familienunternehmen, in dem Flüssigessenzen für Liköre á la Helene hergestellt werden. Und das seit fast 120 Jahren. Auf 700 000 Euro Umsatz im Jahr kommt die Firma heute. Noch vor fünf Jahren waren es 200 000 Euro weniger.
Doch auch für Bonbons und nichtalkoholische Getränke kommt der Geschmack aus Thalheim, wo das Unternehmen seit 2006 sitzt. Kunden dafür sind zum Beispiel die Brauerei in Zahna, die mit Esra-Produkten die Dino-Brause produziert, oder die Harzer Mineralquelle in Blankenburg, die Asco-Cola herstellt. Rund 100 Kunden, die hier schon sehr lange ein- und ausgehen, wissen die Esra-Essenzen zu schätzen. Kleinere zumeist, bei denen Individualität noch groß geschrieben wird. "Das kommt uns zupass", sagt Regina Loth, die Chefin von nur neun Mitarbeitern ist. "Für sie ist erstmal die Qualität, der Geschmack, das A und O und nicht das Geld." Und da sind sie hier goldrichtig, denn Qualität, Verschwiegenheit und Kreativität, das sind die Säulen, auf die die Mitarbeiter bauen. Erfolg in der Nische - das ist ein typisches Esra-Motto.
Mit ganzer Hand greift die Raguhnerin in die Gewürzbüchsen in Größe XXL, wie sie im klimatisierten Drogenlager der Esra stehen. Sternanis rinnt ihr durch die Finger und Fenchel, Lavendel, Zimt und Galgant. Schöne, geheimnisvolle Düfte steigen in die Nase. Schon öffnet sie die nächsten Behälter. Schafgarbe, Arnika, Kerbel, Thymian, Melisse. 75 Sorten Kräuter. Die sind alle notwendig.
Ein Boonekamp zum Beispiel braucht schon über 40 Sorten, um ein echter Boonekamp zu werden. Doch darüber, was so ein echter Boonekamp ist oder was die gute Pina Colada ausmacht, deren Ansatz Wolfgang Nothnagel da gerade mixt, darüber liegt hier der Mantel des Schweigens. Schwingt da nicht etwas Aprikose in der Luft? Nothnagel, der 42 Jahre bei Esra ist, weiß, was sich gehört - er hebt freundlich die Schultern. "Es gibt ein Grundrezept, aber der Geschmack, die Note, ist bei jedem Kunden unterschiedlich. Die Mischung macht's", sagt Regina Loth fröhlich.
Doch die ist das Geheimnis - und das wird nicht preisgegeben. Niemals. "Jeder Kunde kann bei uns sicher sein: Das, was er bei uns entwickelt hat, bleibt unter uns", sagt sie. Deren Treue ist sagenhaft. Und ob einer für den guten Geschmack ein Kilo Essenz abnimmt oder 1 000 - das ist nie ein Thema gewesen. Bei der Entwicklung neuer Produkte arbeiten Abnehmer und Hersteller zusammen. Da gibt es richtige Innovationstreffen. Der Kunde hat die Vorstellung, Esra hat die Erfahrung und einen großen Fundus. Natürlich kommen manche auch auf ganz verrückte Ideen: Spargelschnaps, Gurkenschnaps, Olivenlikör. "Na ja", meint die Expertin, die so schnell nichts aus der Ruhe bringen kann, "dass man nichts machen kann, das gibt es bei uns nicht."
In der Produktion bilden Mischtrommel und Presse das Herzstück, Zitronensäure, Sprit und Flüssigzucker sind die Grundbestandteile. Wann die Trommel wie lange bewegt werden muss, um eine optimale Kräuter-Mischung zu erhalten, das hat Wolfgang Nothnagel sozusagen im Blut. Verkostet wird das neue Produkt im Team. Da ergänzen sich die Routine der Alten und die Moderne der Jungen. "Wir achten die Meinung des anderen. Das ist Voraussetzung, dass wir in Ruhe und mit Erfolg arbeiten können", so die Chefin. Das muss nicht weiter betont werden. Denn wären sonst die Mitarbeiter so treu? Regina Loth, die vor fast 30 Jahren in der Esra-Lohnbuchhaltung begann und dann Betriebswirtschaft studierte, ist seit 1999 Geschäftsführerin. Buchhalterin Christine Schmidt ist ihrem Vater als Lehrling zu Esra gefolgt. Und Veronika und Wolfgang Nothnagel sind aus dem Unternehmen nicht wegzudenken. Erst seit fünf Jahren dabei ist Lebensmitteltechniker Stefan Kühnel, der mit dem Stapler gerade die abgefüllten Behälter Richtung Ausgang transportiert. Er fühlt sich wohl hier, sagt er. "Das ist abwechslungsreich. Jeder kann und muss alles machen."
Doch ob Veronika Nothnagel jeden in ihr Labor lässt? Das ist zu bezweifeln. Hier geht es quasi um die Wurst. Wenn sie stopp sagt, dann ist stopp. Denn hier wird die Qualität begutachtet - Dichte, Volumina, Farbe und anderes. Und darum geht es schließlich: Wo Esra draufsteht, da wird immer auch Esra drin sein.