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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Sattelhof und Enklave im Herzen Anhalts bis 1797

Von MATTHIAS PRASSE 21.09.2010, 16:03

PRIORAU/MZ. - Gemeinsam mit den benachbarten Orten Schierau und Möst war Priorau eine sächsische, später preußische Enklave im Herzen Anhalts. Seit dem ausgehenden Mittelalter ist das Schicksal der drei Dörfer mit dem Adelsgeschlecht derer von Köhler bzw. ihren nahen Stammesverwandten mit dem etwas kuriosen Namen aus dem Winckel verwoben. Schon 1457 ist ein Hermann von Köhler in Priorau ansässig, und dreißig Jahre darauf erhält Hermann Koler (der Sohn des Vorigen?) den Sattelhof des Ortes bestätigt.

Doch was ist ein Sattelhof? Einst gab es sie zuhauf in Mitteleuropa - als Teil der spätmittelalterlichen Herrschaftsausübung. Es war ein von Frondiensten und vielen Abgaben freies Gut mit allgemein eigener Gerichtsbarkeit. Im Gegenzug mussten die Besitzer dem Landesherrn bei Krieg und Fehden militärische Unterstützung leisten. Und dies meist zu Pferde, weshalb der Begriff "Sattelhof" üblich wurde.

Mittelpunkt des Gutes war das Wohnhaus der Herrschaft, in Priorau ein 1908 neobarock überformter Bau. Wie eine Insel liegt das Haus, umgeben von ehemaligen Stallungen und Scheunen, die heute teilweise zu Wohnungen ausgebaut wurden. Zwischen Saale und Mulde zählten die Köhler auf Priorau zu den vermögendsten Familien. Und so teilt der greise Joachim von Köhler, den Tod vor Augen, im Jahre 1605 seine Güter unter den drei Söhnen auf. Der älteste, Joachim wie der Vater, erhält Gut Muldenstein zugesprochen. Der jüngere Tobias die Güter Gnetsch in Anhalt und das Gut Groß Rosenburg in der Grafschaft Barby und schließlich Hans Otto den Sattelhof und das Dorf Priorau, dessen Wert auf 20 000 Gulden festgesetzt wird.

Gut hundert Jahre später ereilt die altadlige Familie von Köhler ein Schicksal, das so selten nicht ist - sie erlischt. Mit Joachim Ernst von Köhler starb 1727 der letzte männliche Namensträger. Tatsächlich hat sich die Anzahl der deutschen Adelsfamilien zwischen 1300 und 1918 drastisch verringert. Eine wesentliche Ursache für das Aussterben ganzer Geschlechter war das Kriegshandwerk. Immer wieder entrichteten die Familien einen erheblichen Blutzoll für die Pläne großer und kleiner Politik. Bedenkt man noch die lange Abwesenheit, ob wegen Feldzügen oder diplomatischer Missionen, ist verständlich, dass die Geburtenzahlen des Adels unter denen der sesshaften Bauern lagen.

Als der letzte von Köhler starb, erhob eine Familie Anspruch auf Priorau, die mit dem Geschlecht aufs Engste verwandt war: "aus dem Winckel". Diese saßen auf Möst und Schierau. Die aus dem Winckel waren eine alte und begüterte Familie. Wie die von Köhler waren sie Zweige des Geschlechts von Krosigk, alle drei trugen drei Pflugschare im Wappen. Doch auch die Zeit derer aus dem Winckel näherte sich dem Ende. 1779 hatte Hans Christian Friedrich das Rittergut übernommen, ein Sturz vom Pferd hatte sechs Jahre zuvor seine Militärkarriere beendet, nur eine geringe Pension von neun Talern monatlich stand ihm bislang zur Verfügung.

Zwar war die wirtschaftliche Lage für ihn keine glänzende, doch war sein Gut Priorau nur zu einem Drittel verschuldet, was ihm unter normalen Verhältnissen ein Auskommen beschert hätte. 1784 heiratete er Marie Sophie Salomon, "seines Schäfers Tochter", was unter seinesgleichen Entsetzen hervorrief. Innerhalb von zehn Jahren verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation auf Priorau so, dass das Gut 1789 mehr oder weniger vorm Konkurs stand.

Bereits seit geraumer Zeit hatte das fürstliche Haus von Anhalt-Dessau versucht, die Güter in der sächsischen Enklave anzukaufen. 1751 gab der sächsische Kurfürst Friedrich August II. dem Fürsten von Anhalt grünes Licht, die Winckelschen Güter zu erwerben. Doch der geplante Ankauf kam zunächst nicht zustande. Erst über Mittelsmänner konnte der Besitz erworben werden. Oberforstmeister Otto Heinrich von Görschen erwarb Priorau 1791, um es im Februar 1797 an die Erbprinzessin Christiane Amalie von Anhalt-Dessau weiterzuverkaufen. Zwar war das Land nun in anhaltischem Besitz, doch weiterhin galt hier sächsisches und 1815 nach dem Wiener Kongress preußisches Recht.

Dabei war der Verkauf an die Erbprinzessin wohl von strategischen Erwägungen geleitet: Sie war im Gegensatz zum anhaltischen Hof der evangelisch-lutherischen Konfession angehörig, während das Haus Anhalt reformiert war. Einem direkten Verkauf an einen reformierten Eigentümer hätte der Lehnsherr, die ebenfalls lutherisch gesinnte sächsische Krone, wohl nicht zugestimmt. Christiane Amalie übergab das Gut 1834 ihrem Sohn Herzog Leopold Friedrich. Priorau wurde nun wie Möst und Schierau verpachtet, in den Herrenhäusern Möst und Schierau wohnten herzogliche Förster.

Nach dem Ersten Weltkrieg veräußerte man das Gut 1922 an den ehemaligen Ministerpräsidenten Dr. Max Gutknecht aus Rietzmeck. Dieser war der letzte Herzoglich-Anhaltische Staatsminister und nach dem Ende der Monarchien in Deutschland schließlich Hausminister (Vertreter) des Hauses Anhalt. Nach seinem Tode 1935 ließen seine Erben das Gut versteigern, doch der nachfolgende Käufer musste das Gut aufgrund "nicht-arischer Vorfahren" bereits nach einem halben Jahr räumen.

Nun im Besitz der Siedlungsgesellschaft Sachsenland, war das Gut 1945 der Bodenreform unterworfen und diente als Wirtschaftsgut der Roten Armee. Nach 1949 folgte eine Nutzung, wie sie DDR-typischer kaum sein konnte: Das Herrenhaus diente als Schule, Kindergarten und Verwaltungssitz der LPG Raguhn. Mit der politischen Wende versuchte sich eine Großküche im ehemaligen Adelssitz zu etablieren, doch seit etwa 1994 steht das Gebäude leer.

Im Herbst vorigen Jahres wurde das Herrenhaus versteigert, im Vorfeld konnte der Autor das Gebäude besichtigen. Äußerlich durchaus noch attraktiv, sind die Schäden im Gebäudeinneren teilweise bereits gravierend. Tatsächlich fand sich für eine niedrige Summe ein Käufer, in London soll er leben und Priorau gar nicht kennen, munkelt man. Wird er seinen Besitz jemals in Besitz nehmen? Denn ein Hemmschuh für ernsthafte Investoren stellt ohne Frage die Parzellierung des umgebenden Gutshofes nach der Wende dar. Wer eine Million Euro in Gebäude stecken soll, für den ist das Umfeld ein wesentliches Kriterium. Die heutige Insellage des Herrenhauses könnte deshalb zum Untergang führen.