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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Ihr täglich Brot

Von matthias deggeller 03.02.2012, 17:27

Holzweissig/MZ. - Wenn Sabine Flemmig in der Backstube die beiden rost-roten Holzkörbe aus dem Regal nimmt, ist es kurz vor halb sieben und sie hat schon fünfeinhalb Stunden Arbeit hinter sich. Vorsichtig legt sie die frisch gebackenen Brötchen in die Körbe und bringt sie in die Bäckerei. Manche der 350 Brötchen sind noch etwas warm und sorgen im Verkaufsraum für den Duft, der manchen Kunden später zum bewussten Einatmen verleitet.

Tag für Tag stehen Sabine und ihr Mann, Bäckermeister Thomas Flemmig, in der Backstube. Spätestens um 1 Uhr knipsen sie über den Knetmaschinen, Waagen und Mehlsäcken die Neonröhren an; die meisten Menschen gehen da gerade schlafen. Warum tun sie das? "Weil ich Spaß daran habe, sonst könnte ich den Beruf nicht ausüben", sagt der 49-Jährige. "Man hat sich daran gewöhnt", ergänzt seine gleichaltrige Frau.

Über der Petersrodaer Straße in Holzweißig scheint der Mond, niemand ist mehr unterwegs. Wie anders sieht es hinter dem Laden mit braunen Brezeln aus. Die Flemmigs flitzen durch die hell gekachelte Backstube. An den Wänden hängen die Rezepte, die keiner mehr braucht: "Alles hier drin", ruft Thomas Flemmig und tippt sich an den Kopf. Bereits am Vortag haben sie die Zutaten bereitgelegt und passend dosiert.

Um 2.15 Uhr widmen sich die Eheleute dem Klassiker des deutschen Frühstückstisches: den Weißbrotbrötchen. "Wir arbeiten hier nur mit frischen Zutaten", sagt Thomas Flemmig und befördert sanft, aber bestimmt Wasser, Mehl und Salz, in die hüfthohe Knetmaschine. Nachdem auch ein halbes Kilo Hefe in der Riesen-Rührschüssel verschwunden ist, setzt sich der "Kneter" in Bewegung. Erst langsam, dann immer schneller; zusammen mit dem Brummen des Ofens entsteht ein Tremolo, das das stetig laufende Radio fast übertönt.

Die Maschine knattert, das Streletta Robotron dudelt und die Flemmigs arbeiten - "so lange es geht", wie sie versichern - die nächsten 18 Jahre wollen sie auf jeden Fall noch backen. 2001 übernahmen sie die Bäckerei von Thomas Flemmigs Vater. Sie führen das Geschäft in dritter Generation. Schon sein Großvater schob an gleicher Stelle die Laibe in den Ofen, er hatte das Geschäft 1939 eröffnet. Die mehlbestäubte, gusseiserne Waage, mit der sie bis heute die Teigmengen portionieren, steht noch immer gegenüber an gleicher Stelle. Ob der Betrieb irgendwann mal fortgeführt wird? Für einen Moment legt sich Bedauern auf Thomas Flemmigs Gesicht. Die Tochter verdiene sich ihre Brötchen im Bankwesen. Und auch Auszubildende kann er nicht aufnehmen: "Möglich wäre es schon, allerdings habe ich leider nicht die Zeit, Lehrlinge genügend auszubilden."

Dafür ist es bei den Flemmigs Teamarbeit in Perfektion: Sabine Flemmig plättet die Klumpen, Thomas Flemmig legt sie auf ein rotes Plastikbrett mit 30 Einbuchtungen und schiebt sie in die Zerteile-Maschine. Fünf Sekunden rumoren und rattern, dann zieht der Bäckermeister 30 fein säuberlich drapierte Brötchenteige aus dem Schlitz der Maschine: "Wenn die mal kaputt ist, kommen wir aus dem Takt", sagt Thomas Flemmig. Aber heute nicht; sie läuft und läuft, und wenn sie mal ein Brötchen in ihrem Schlund behält, entreißt Thomas Flemmig es ihr mit forschem Handgriff. So entstehen Brötchen und später Brote aller Art, die der Ofen in die gewünschte Konsistenz bringt. Ein Kreislauf des Rührens, Knetens und Backens, Tag für Tag, Stunde für Stunde bis zum frühen Morgen. Wenn es hell wird, gegen 7.30 Uhr, sind auch die Brote fertig und die Flemmigs atmen auf: "Dann ist der erste Druck weg, auch wenn der Arbeitstag noch lange nicht zu Ende ist", sagt Thomas Flemmig. "Gebacken wird bis in den Vormittag hinein und anschließend beginnen die Vorbereitungen für den nächsten Tag." Bleibt da Zeit für Urlaub? Den gebe es, aber selten: "Die Kosten laufen ja weiter, nur der Laden ist dann geschlossen." Sagt's und stemmt die Bretter mit acht Brotlaiben pro Seite in die Höhe, um sie in die Bäckerei zu bringen. Wer ihn sieht, schnellen Schrittes über den Hof gehend, die Brote in die Verkaufsstube bringend, der weiß, hier macht nicht nur jemand seinen Job, hier lebt jemand für seinen Beruf, auch wenn die Verantwortung ähnlich schwer wiegt wie die vollen Bretter auf seinen Händen.