30 Jahre Deutsche Einheit 30 Jahre Deutsche Einheit: Heidi Dehne brachte ein Stück Wales zum Altkreis Bitterfeld

Mühlbeck - Tagelang hat sie vorm Fernseher gesessen und geschaut, was hier Spannendes zwischen Ostsee und Erzgebirge passiert, erzählt Heidi Dehne. Dass sie Jahre später selbst zwischen Ostsee und Erzgebirge leben wird, ahnt sie damals freilich nicht.
Vom Rheinland aus sieht sie, der ganze Osten ist auf den Beinen. Die Leute wollen weg aus dem kleinen Land. Sie suchen Freiheit, eine neue Zukunft jenseits der engen Grenzen. Der erste Zug mit DDR-Flüchtlingen aus Prag rollt durch Dresden Richtung Westen.
„Da dachte ich noch: Na, wenn ein Zug rollt, rollen alle. Und wenn die alle wegwollen, dann kommt irgendwann die Wiedervereinigung“, blickt Heidi Dehne zurück. Die kommt nicht irgendwann, sondern im Jahr darauf, 1990. Und während Tausende vom Osten in den Westen strömen, nimmt sie den umgedrehten Weg.
Heidi Dehne ist 51 Jahre alt als sie sich entschließt von Bergisch-Gladbach nach Bobbau zu ziehen
Und nicht nur das - sie wird etwas aufbauen, was es bis dato in Deutschland nicht gibt: das Buchdorf Mühlbeck-Friedersdorf, original nach jenem im walisischen Hay-on-Wye. Und das in einer Region, die damals gern mit der Vorstellung von der Hölle verknüpft wird.
Heidi Dehne ist 51 Jahre alt und hat ihren Job verloren, sie sitzt in ihrem Bergisch-Gladbach fest und steckt in einer Ausbildung zur Pflegeheimleiterin. Und sie fühlt sich ziemlich allein. Die Kinder stehen auf eigenen Beinen. „Da kommst du manchmal auf Ideen“, sagt sie. „Ich war Kind, als der Krieg zu Ende war. Nun sah ich das alles im Fernsehen und dachte: Viel anders als damals bei uns kann es dort drüben auch nicht aussehen.“
Heidi Dehne inseriert in ostdeutschen Zeitungen, sie will in einem Pflegeheim arbeiten. Vom katholischen Pfarrer in Bitterfeld kommt ein Anruf. Das Pflegeheim in der Röhrenstraße wird gerade gebaut. Eine Fügung des Schicksals.
„Politische Gründe haben mich nicht in den Osten getrieben“
„Ich hab in der Röhrenstraße geparkt, die Grüne Lunge gesehen, die große Stadtkirche. Am selben Tag bin ich noch nach Wittenberg gefahren. Das alles hatte für mich was.“ Und dann geht alles ganz schnell, das Leben ändert sich über Nacht. Sie findet auf einen guten Tipp hin ein Haus in Bobbau. „Den Vertrag hab ich unterschrieben, da hatte ich noch keinen Arbeitsvertrag. Das war mir egal, ich war hier.“
Und glücklich. Heute noch, wie sie sagt. „Politische Gründe haben mich nicht in den Osten getrieben. Ach, gar nicht. Ich hab eher andere Erfahrungen gemacht, wenn ich an die Grenzkontrollposten der DDR denke“, meint sie und winkt lachend ab. „Wenn ich zurückblicke: Keinen Schritt, den ich freiwillig oder durch veränderte Umstände gemacht habe, habe ich je bereut. Es war für mich immer richtig.“
1997 gründet sie mit sieben anderen das erste deutsche Buchdorf in Mühlbeck-Friedersdorf
Heidi Dehne arbeitet zu Beginn der 90er Jahre im Pflegeheim, bringt das mit dem Team zum Laufen. Später gründet sie ihre eigene Firma, einen Hausservicedienst. Und dann das Buchdorf, ihre ganz große Leidenschaft. Als sie von einer wunderbaren Geschichte und Millionen Büchern hört, spitzt sie die Ohren: 1961 gründete Richard Booth in Hay-on-Wye, einem winzigen Ort in den walisischen Black Hills, das erste Buchdorf der Welt.
Heidi Dehne ist Feuer und Flamme. 1997 gründet sie mit sieben anderen das erste deutsche Buchdorf in Mühlbeck-Friedersdorf. Das besteht, trotz mancher Aufs und Abs, noch heute. Allein in ihrem Bücher-Consum finden sich sage und schreibe 80.000 Bücher. (mz)