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17. Juni 1953 17. Juni 1953: So erschütterte der Volksaufstand Bitterfeld

Von Stefan Schröter 17.06.2016, 11:23
Die Binnengärtenwiese quillt über vor Menschen. Am Mitag des 17. Juni 1953 erreicht der Aufstand seinen Höhepunkt.
Die Binnengärtenwiese quillt über vor Menschen. Am Mitag des 17. Juni 1953 erreicht der Aufstand seinen Höhepunkt. Stadtarchiv

Bitterfeld - Über 30.000 Menschen auf dem Platz der Jugend in Bitterfeld, dem heutigen Robert-Schuman-Platz: Während der Volksaufstand am 17. Juni 1953 die DDR erfasste, war Bitterfeld ein zentraler Ort der Ereignisse: „Mit welcher Intensität die Aufständischen eine ganze Stadt in der Hand hatten ... Das war sonst in der Republik nur in Görlitz der Fall“, weiß der Historiker Sven Sachenbacher, der heute in der Gedenkstätte Marienborn arbeitet.

Er kümmerte sich 2003 um die große Ausstellung im Bitterfelder Metalllabor zum 50. Jahrestag der Geschehnisse. Die Recherchen dazu hätten gezeigt, welche Dimension die Demonstrationen in Bitterfeld hatten: „Bis dahin wusste noch niemand, welche Ausmaße der Aufstand auch in kleineren Städten angenommen hatte. Es gab einen riesigen Schub in der Aufarbeitung.“

Politische Gefangene kamen frei

Das Kreisstreikkomitee habe 1953 zeitweise im Rathaus gesessen. „Auch politische Gefangene wurden freigelassen.“ Das ist nach den Schilderungen von Sachenbacher per Einzelfallprüfung geschehen.

Zu diesem Zeitpunkt war die große Demonstrationskundgebung am Platz der Jugend bereits vorbei. „Dort waren mehr Leute, als Menschen in der Stadt gewohnt haben“, so Sachenbacher.

Ein "friedliches" Ereignis

Sie strömten aus den Werken, dem CKB, dem EKB, auf den Platz der Jugend. Dort hielt Wilhelm Fiebelkorn, Lehrer an der Comenius-Schule, die Rede mit den Streikzielen der Bewegung: freie Wahlen, die Einheit Deutschlands, Rücktritt der Ulbricht-Regierung und weitere. „Er brachte die nationale Komponente herein“, weiß Sachenbacher.

Paul Othma war zuvor der erste Redner auf der improvisierten Tribüne. Er sprach sich unter anderem dafür aus, politische Gefangene freizulassen. Überall waren fröhliche Menschen, berichtet Sachenbacher. „Es war ein freudiges und friedliches Ereignis.“

Rebellen voller Selbstbewusstsein

Immer wieder wird bei dem Bitterfelder Aufstand ein Telegramm der Streikführung nach Berlin erwähnt. Darin formulierte das Streikkomitee Forderungen an die DDR-Regierung, die es zuvor bereits bei der Demonstration verkündete.

„Das Telegramm strotzt vor Selbstbewusstsein. So ein Schreiben von diesem Tag ist aus keiner anderen Stadt bekannt.“ Sven Sachenbacher ist fasziniert von der Weitsicht bei der spontanen Demonstration 1953. Die Aufständischen hätten zeitweise auch an ihren Erfolg geglaubt.

Doch sie scheiterten. Denn die Sowjetmacht griff ein. „Ohne ihren Aufmarsch hätte die DDR schon damals vor dem Aus gestanden“, meint Sachenbacher.

Zwei Todesopfer in Bitterfeld

Stattdessen aber wurden viele Menschen für ihr Aufbegehren verhaftet. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung forderte der Aufstand in Bitterfeld zwei Todesopfer: Der Streikende Hermann Stieler wurde nach seiner Verhaftung in seiner Zelle im Volkspolizeikreisamt Bitterfeld tot aufgefunden. Und Streikführer Paul Othma starb 1969 an den Folgen der Haft. Die DDR-Regierung hatte ihn und alle anderen Aufständischen als Faschisten verunglimpft.

Sachenbacher und die Ausstellung 2003 in Bitterfeld würdigten hingegen den Aufstand in großem Maße. Dabei habe sich damals sogar Hedwig Othma, die Witwe des Streikführers, bei dem Historiker bedankt: „Für die Ehrenrettung ihres Mannes.“ (mz)