Salzlandkreis Salzlandkreis: 71 Bebitzer wollen nicht umziehen
bebitz/MZ. - "Abrissbirne nicht mit uns!!" steht auf dem weißen Laken, das über die Zufahrt zur Betriebssiedlung des Bebitzer Flanschenwerkes gespannt ist. An jedem zweiten Baum kleben Zettel mit Parolen wie "Wir geben nicht kampflos auf" oder "Wir lassen uns nicht vertreiben". Sie sind Zeugnis einer Kampfansage der Mieter an den Eigentümer. Wie berichtet, will das Flanschenwerk die Siedlung plattmachen und dort eine Lagerhalle errichten. Hilfe versprechen sich die Bebitzer auch von höherer Stelle. Sie haben den Petitionsausschuss des Landtages und den Ministerpräsidenten informiert, zudem das Landesamt für Denkmalschutz eingeschaltet.
Vor drei Wochen hatte die Unternehmensleitung den Mietern während einer Versammlung offenbart, dass sie bis Jahresende ihre Wohnungen verlassen müssen, weil das Werk die Fläche für den Bau einer Lagerhalle benötige. Daraufhin gingen die Betroffenen, die zum Teil seit Jahrzehnten eine Heimat zwischen Werk und Teich gefunden haben, auf die Barrikaden. Und es sind nicht nur ein paar Widerständler wie Nikolaus Schmidt, Hausanwalt der Firma, während einer Pressekonferenz vor zwei Wochen der versammelten Journalistenschar erklärte.
Tatsächlich haben sich 71 der 81 Mieter für einen Verbleib in ihren Wohnungen ausgesprochen. Das ist auf einer Unterschriftenliste dokumentiert, die Christian Hübner in der vorigen Woche zusammen mit einem Informationsschreiben an den Petitionsausschuss des Landtages gesandt hat. In der Begründung heißt es: "95 Prozent der hier lebenden Menschen sind nicht gewillt, ihre Heimat und ihr Zuhause für eine Lagerhalle zurückzulassen."
Nicht nur vom Petitionsausschuss versprechen sich die Mieter Beistand. Manfred Lehmann hat einen Brief an den Ministerpräsidenten verfasst. Reiner Haseloff war im Vorjahr Gast der Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen des Unternehmens. "Ich bin 1989 in Bernburg und Leipzig zur Montagsdemo gefahren und habe mir Meinungs- und Pressefreiheit und freie Wahlen gewünscht. Dafür stehe ich noch heute. Dass ich nun mit 61 Jahren erleben muss, dass Menschen, die über 60 Jahre in der Werkswohnung wohnen, ihr Zuhause verlieren und als Querulanten bezeichnet werden, wenn sie für ihre Rechte kämpfen, macht mich sehr traurig und nachdenklich", heißt es unter anderem in dem Schreiben. Manfred Lehmann erklärt, dass keine Alternativen aufgezeigt wurden, um das Projekt Lagerhalle anders zu lösen. Der Brief endet mit den Worten: "Überall werden wegen seltener Regenwürmer, Fledermäuse, Frösche oder Schmetterlinge Projekte gekippt oder es wird nach Alternativen gesucht. Aber wenn es um Menschen geht, sieht das alles anders aus."
Für Manfred Lehmann ist die Unterschriftenliste ein überwältigendes Bekenntnis seiner Nachbarn zum Erhalt der Siedlung, die seit 1924 entstanden ist. Er glaubt, dass noch mehr als jene 71 Mieter, die unterschrieben haben, bleiben wollen. Ein Teil von ihnen arbeite aber noch im Werk und fürchte um den Job.
Andrea Voigt wohnt seit 18 Jahren in einem der 17 Häuser. Die 49-Jährige ist auch in der Siedlung aufgewachsen. Sie hat das Landesamt für Denkmalpflege eingeschaltet und die mündliche Zusage der Behörde, sich die Lage vor Ort näher anzuschauen. Die Mieterin hat die Hoffnung, dass die Siedlung unter Denkmalschutz gestellt wird.
Auch der öffentliche Druck auf das Unternehmen wächst. Heute will Peter Escher persönlich in der Siedlung aufkreuzen. Der Journalist ist mit seiner Verbraucherschutzsendung "Ein Fall für Escher" im MDR-Fernsehen bekannt geworden. Die Situation in Bebitz soll bereits in der nächsten Folge am Donnerstag, 2. Februar, ab 20.15 Uhr thematisiert werden, sagt Manfred Lehmann.
Wie er wollen 70 andere Mieter lieber bleiben als das vom Flanschenwerk Bebitz unterbreitete Angebot annehmen. Dieses sieht einen Erlass der Miete für das gesamte Jahr 2012 plus Zahlung von drei weiteren Monatsmieten vor, wenn die Mieter bis zum 31. März ihre Verträge freiwillig auflösen. Zudem will das Werk bei der Suche nach neuen Quartieren in umliegenden Orten behilflich sein und Entschädigungen für jene Mieter verhandeln, die auf eigene Kosten teilweise bis zu fünfstellige Summen in ihre unsanierten Wohnungen investiert hatten. Nach eigenen Verlautbarungen des Unternehmens habe sich der indische Eigentümer aus wirtschaftlichen Gründen für einen Abriss der Siedlung entschieden, da ein Sanierungsstau von 2,5 bis 3 Millionen Euro aufgelaufen sei. Zudem werde das Areal wegen seiner unmittelbaren Lage an einem Gleisanschluss für den Bau einer Lagerhalle benötigt.