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Konditorei-Eiscafé Schmelzer in Bernburg Konditorei-Eiscafé Schmelzer in Bernburg: Baisertorte ist Kassenschlager

Von Torsten Adam 24.02.2017, 06:55
Seit dem Jahr 1926 wird im Haus Louis-Braille-Platz 22 Eis und Torte verkauft. Zum Team gehören heute Anne Schmelzer (von links), Brigitte Schmelzer, Ingelore Böttcher, Sandra Helling, Gerhard Schmelzer, Antje Valek und Riccarda Beinhoff.
Seit dem Jahr 1926 wird im Haus Louis-Braille-Platz 22 Eis und Torte verkauft. Zum Team gehören heute Anne Schmelzer (von links), Brigitte Schmelzer, Ingelore Böttcher, Sandra Helling, Gerhard Schmelzer, Antje Valek und Riccarda Beinhoff. Engelbert Pülicher

Bernburg - Das milchige Eis für 20 oder 50 Pfennig auf die tüten- oder muschelförmige Waffel gestrichen - wer in Bernburg aufgewachsen ist, weiß sofort, wovon die Rede ist: vom Konditorei-Eiscafé Schmelzer am Louis-Braille-Platz. Seit 114 Jahren verkauft der Familienbetrieb, in dem mittlerweile die vierte Generation herangewachsen ist, die kühle Schleckerei. In Bernburg gilt Schmelzer als Institution. „Wir haben fünf verschiedene Gesellschaftsordnungen überstanden“, ist der heutige Firmenchef Gerhard Schmelzer stolz auf die lange Tradition.

Drei Eiswagen, drei Städte

Angefangen hat alles mit der Idee dreier Brüder kurz nach der Jahrhundertwende im deutschen Kaiserreich. Inspiriert von Italienern, die in den Sommermonaten auf offener Straße Eis anbieten, beschafft sich jeder des Trios ebenfalls einen mobilen Eiswagen.

Wilhelm Schmelzer, der Großvater von Gerhard, versucht sein Glück in Bernburg, seine Brüder - die sich später zerstreiten - in Aschersleben und Quedlinburg. Unverletzt kommt er aus dem Ersten Weltkrieg zurück, nimmt seinen Eisverkauf in der Saalestadt wieder auf und bildet sich parallel zum Konditormeister weiter.

Anfang der 1920er Jahre mietet Wilhelm Schmelzer zunächst einen kleinen Laden vis-à-vis der heutigen Konditorei an und ergreift schließlich 1926 die Chance, das Haus Louis-Braille-Platz 22 mit Kredit zu erwerben, nachdem der bisherige Eigentümer den hier untergebrachten Lampenladen und eine Hofklempnerei schloss.

Er baut das Haus um, muss sich seine Konzession allerdings vor Gericht erstreiten.

Florierendes Geschäft

Das Geschäft floriert, zeitweise sind sieben mobile Eiswagen in der Stadt unterwegs, auf dem Schützenplatz (heute Platz der Jugend) drängeln sich die Naschkatzen im Sommer vor dem hölzernen Schmelzer-Pavillon. Dabei ist die Konkurrenz durchaus groß.

„Damals gab es in Bernburg zwei große Kaffeehäuser und zehn Konditoreien“, weiß Gerhard Schmelzer zu berichten, der auch die eine oder andere Anekdote von damals kennt.

„An Jugendliche unter 16 Jahren durfte auf der Straße nur Eis verkauft werden, wenn sie in Begleitung eines Erwachsenen waren. Und während des sonntäglichen Kirchgangs war der Kuchenverkauf außer Haus verboten. Heute kann man darüber lachen.“

Eis aus Rübensaft

Der Zweite Weltkrieg geht auch an der Konditorei nicht spurlos vorbei. Von 1943 bis 1945 muss sie geschlossen bleiben, weil Wilhelm Schmelzer genau wie Sohn Werner zum Militärdienst eingezogen wird. Beide überleben, wagen anschließend gemeinsam den schwierigen Neustart.

„Wegen Zuckermangels wurde das Eis mit Rübensaft hergestellt“, erzählt Gerhard Schmelzer vom Erfindungsreichtum seines Vaters und Opas, in deren Fußstapfen er vor 54 Jahren tritt. Nach der Lehre in der Bernburger Konditorei Braunstedter steigt er selbst in den Familienbetrieb ein, macht 1982 seinen Meister. „Die Eltern warteten schon auf mich, denn Mitarbeiter außerhalb der Familie waren damals kaum zu bekommen.“

Mittags war Hochkonjunktur

Zu dieser Zeit herrscht mittags Hochkonjunktur in der Eisdiele, dann stehen die Schulkinder nach Unterrichtsschluss Schlange. „Wir waren froh, wenn wir alle abgefertigt hatten“, erinnert sich der heute 70-Jährige mit einem Schmunzeln an den Ansturm zurück. Es habe damals ja auch nichts anderes gegeben. „Eis war die einzige billige Nascherei.“

Und die Auswahl begrenzt. Füllen heute Sorten wie Apfel oder Kirsch-Joghurt die Behälter hinter dem gläsernen Tresen, gab es einst nur Vanille und Frucht, manchmal auch Schoko.

Dass die Waffeln bestrichen wurden und nicht wie jetzt mit einem Kugel-Portionierer gefüllt werden, hatte einen einzigen Grund: „Es ging schneller.“

Nur der Charme des Cafés erinnert an alte Zeiten

Geändert hat sich seitdem eine Menge. Nur der Charme des Cafés mit alten Schwarz-Weiß-Fotografien der Firmengeschichte an den Wänden erinnert an frühere Zeiten. Vor allem nachmittags ist es gut besucht von Senioren und Familien, die hier Kaffeekränzchen halten. Am Wochenende sind es vor allem Touristen, die eine Pause einlegen.

Auch wenn mittlerweile mehr Konditoreiprodukte nachgefragt werden als Eis, ist die Baisertorte schon immer ein Kassenschlager gewesen.

„Irgendwann in den 1960er Jahren stellte sie plötzlich jeder Konditor in Bernburg her“, erinnert sich Gerhard Schmelzer. Die kalorienreiche Sünde hat sich zu einem kulinarischen Markenzeichen der Saalestadt gemausert und ist heute mit Abstand die meistverkaufte Tortenart bei Schmelzers.

„Früher haben wir dafür jeden Tag frische Sahne direkt aus der Bernburger Molkerei geholt“, sagt der Firmenchef. Nunmehr werde erhitzte Sahne verwendet, womit die Torte einfach länger haltbar ist. Den Kunden schmeckt sie, das zeigt die Nachfrage, wie eh und je. Und niemand muss wie damals Schlange stehen, als das Eiweiß nur für zwölf Torten am Tag reichte.

Keine freien Wochenenden

Gerhard Schmelzer „ist mit dem Betrieb verheiratet“, sagt seine Ehefrau Brigitte über ihn. Sie ist inzwischen Rentnerin, hilft aber auch noch ab und zu mit aus.

Das Paar gönnte sich früher nie gemeinsame freie Wochenenden, mindestens einer von beiden stand immer hinter dem Tresen, um die Kundschaft zu bedienen. Ein entbehrungsreiches Arbeitsleben. Nun aber wissen sie das Geschäft mit den fünf Mitarbeiterinnen bei Tochter Anne in guten Händen.

Das war nicht immer so. Die junge Frau hatte nach dem Schulabschluss andere Pläne, wurde Friseurin. „Mit 16 Jahren dachte ich, ,bloß nicht in den elterlichen Betrieb!’. Jetzt bin ich reifer und denke anders darüber“, erzählt die 33-Jährige, die in Dessau das Konditorhandwerk erlernte und 2007 darin ihren Meister machte.

„Sie ist besser geeignet als ich“, lobt der Vater seine Tochter für die Kreativität beim Zubereiten und Verzieren von Hochzeits- und Geburtstagstorten. Deshalb kann er ruhigen Gewissens sagen: „Ich werde mich so langsam zurückziehen.“

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Läden eröffnen, wechseln den Besitzer oder ihren Standort, sie schließen wieder. Und doch gibt es sie noch - die Traditionsgeschäfte in der Region, die teilweise sogar verschiedenste Gesellschaftsformen mit- und überlebt haben. In Bernburg mehr als in den umliegenden Kleinstädten und Dörfern, die aufgrund der niedrigen Kaufkraft noch viel mehr mit der wachsenden Konkurrenz aus dem Internet zu kämpfen haben. Aber eben nicht jede Dienstleistung und jedes Produkt lässt sich heutzutage mit einem Mausklick online nach Hause bestellen. Was wäre das für ein Leben ohne Bäcker, Fleischer, Friseure, Modeboutique, Optiker oder Tabakhändler vor Ort?

Die MZ wird in der neuen Serie „Unsere Schaufenster“ einmal wöchentlich Geschäfte im Altkreis Bernburg vorstellen, die mindestens ein Jubiläum gefeiert haben, die es also schon 25 Jahre und länger gibt. (mz)

Eiswagen-Parade vor dem Haus Louis-Braille-Platz 22, seit 91 Jahren Stammsitz der Konditorei Schmelzer.
Eiswagen-Parade vor dem Haus Louis-Braille-Platz 22, seit 91 Jahren Stammsitz der Konditorei Schmelzer.
Pülicher