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Einzelhandel in Bernburg Einzelhandel in Bernburg: Wieso der Herrenausstatter Wilhelm Wehrenberg die Stadt verlässt

Von Katharina Thormann 14.11.2015, 22:13
Wilhelm Wehrenberg gibt zu Jahresende sein Geschäft ab. Seine Mitarbeiter, bis auf seine Frau (Bild Mitte), werden weiterbeschäftigt.
Wilhelm Wehrenberg gibt zu Jahresende sein Geschäft ab. Seine Mitarbeiter, bis auf seine Frau (Bild Mitte), werden weiterbeschäftigt. engelbert pülicher Lizenz

Bernburg - Diesen einen Tag im Januar 1991 wird Wilhelm Wehrenberg wohl nie in seinem Leben vergessen. Es war seine erste Fahrt in den Osten. Genauer nach Nienburg an der Saale: „Ich erinnere mich noch an die vielen Schlaglöcher, die kleinen Verkehrsschilder und die Häuser und Bäume. Sie waren ganz weiß von den Ausstößen des Zementwerks.“ In diesem Moment ahnte der Niedersachse aus Nienburg an der Weser noch nicht, dass er vier Jahre später seine Zelte in seiner Heimat abbrechen würde, um im Alter von 47 Jahren in Bernburg sein neues Glück zu versuchen. Und zwar als Herrenausstatter, zu dem nun schon seit zwei Jahrzehnten etliche Kunden für Krawattennadeln bis zum Anzug in die Steinstraße pilgern.

Abschied zum Jahresende

Doch damit wird zum Jahresende Schluss sein. Der 66-Jährige gibt sein Geschäft an seinen Nachfolger aus Leipzig ab. Um kürzerzutreten und die Zeit mit seiner Frau zu genießen. Von Entspannung ist momentan aber noch nichts zu spüren. Immer wieder schrillt das Telefon, ploppen E-Mails am PC auf oder betreten Kunden das Geschäft, um „Tschüss“ zu sagen. „Viele können es nicht glauben, dass wir gehen“, sagt Wehrenberg mit ruhiger Stimme und einem immerwährenden Lächeln auf den Lippen. Gekleidet in einen seiner zwölf Anzüge, mit weißem Hemd und dunkelgrün-karierter Krawatte.

„Ich habe eindeutig zu viele Sachen im Schrank“, gesteht der modebewusste, gertenschlanke 66-Jährige, der 1964 als Einzelhandelskaufmann bei einem großen Modehaus in die Lehre ging. Nach vierjähriger Dienstzeit bei der Bundeswehr arbeitete er sich in dem Unternehmen bis zum Einkäufer hoch. Genau diese Position führte ihn auch nach der Wende in den Osten. Zunächst, um für einen Bekannten und das Exquisit-Geschäft an der Bernburger Lindenstraße die neueste Kleidung zu besorgen. Nebenberuflich in der Sauren-Gurken-Zeit. Doch die Nachfrage war riesig.

Und so kreuzte Wehrenberg bald alle zwei Wochen in Bernburg auf, fasste dabei auch einen für ihn lebensverändernden Entschluss: Weg von zu Hause, ab in den Osten: „Ich wollte mich schon immer selbständig machen.“ Ursprünglich war der Plan, ein Geschäft in Halle zu eröffnen. Doch die horrenden Mietpreise machten ihm einen Strich durch die Rechnung - dann eben Bernburg!

Holpriger Start im Jahr 1995

Mit großem Erfolg, wenn auch der Start im Sommer 1995 etwas holprig verlief. „Eine halbe Stunde vor Ladeneröffnung fiel uns auf, dass die Vorhänge für die Umkleidekabinen fehlten“, erinnert sich Wehrenberg. Doch dank einer flinken Schneiderin, zu der er noch schnell Stoffe brachte, war das Problem gelöst, bevor der erste Kunde über die Türschwelle des Geschäft trat. Seitdem haben sich unzählige Männer von Wehrenberg und seinem inzwischen vierköpfigen Team einkleiden lassen. Einer der ausgefallensten Wünsche: drei brandsichere Rennfah-reranzüge für einen recht korpulenten Ferrari-Fan. Auch diese Bitte konnte der Herrenausstatter erfüllen und wurde dafür kräftig gedrückt. Die Dankeschön-Grüße von Kunden verteilen sich mittlerweile auf der gesamten Deutschlandkarte. Diese hängt nicht nur im Flur vor dem Büro, sondern ist auch noch durchlöchert von zig Fähnchen.

„Das sind alles Kunden von uns“, zeigt Wehrenberg auf die nördlichste auf Insel Rügen und die südlichste am Zipfel zur Schweiz. All jene werde er natürlich sehr vermissen. „Denn für mich war immer der Mensch, der Kunde, das was zählt“. Um ihn für die Mode zu begeistern, buchte er sogar regelmäßig professionelle Models für Modenschauen. Anfangs noch im Autohaus eines guten Bekannten in Baalberge, füllten seine Kunden später sogar den gesamten Kurhaussaal. Bis Wehrenberg aufgrund gesundheitlicher Probleme die aufwendigen Modenschauen im Jahr 2011 einstellen musste. Auch viel Zeit für Sport blieb in den vergangenen Jahren nicht. Dabei war Wehrenberg in jungen Jahren leidenschaftlicher Fußballer und Kegler, qualifizierte sich sogar einst für die Deutschen Meisterschaften im Einzel. „In Bernburg habe ich dann nur noch ein paar Jahre Tennis gespielt.“

Ob er jetzt wieder dafür Zeit findet? Vielleicht. Zumindest ist klar, wohin es ihn und seine Frau verschlägt. Und zwar nach Lübeck, wo inzwischen auch Sohn und Schwiegertochter wohnen. „Nachdem wir nun ganz Mitteldeutschland kennen gelernt und bereist haben, zieht es uns jetzt wieder in die alten Bundesländer“, sagt der werdende Opa, der trotz seines baldigen Ruhestands ganz und gar nicht daran denkt, seine Leidenschaft für Mode an den Nagel zu hängen: „Wir werden bestimmt immer mal wieder das Geschäft in Bernburg besuchen und natürlich auch auf Modemessen fahren.“ Denn von einem ist der 66-Jährige überzeugt: Zu alt für Mode ist man nie. (mz)