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Der lange Abschied vom Kind

Von Kathrin Steinmetz 03.08.2007, 13:51

Belleben/MZ. - "Wasbleibt, ist die Frage, wie die Geister aktiviertwerden", fragt der Unternehmer ganz ernsthaft.Seine Antwort: Wie bei einem Flaschengeist,nur dass das Haus die Flasche öffnet. "Wenndas Haus ungünstig gebaut ist, stresst dasunterschwellig Körper und Seele. Das merktman zu spät oder sucht die Ursachen woanders."

Beim Schloss in Piesdorf steht für Lange nichtsan der falschen Stelle: keine störenden Wasseradern,kein Nordhang, keine grauen Nebel, Räume undHauseingangstür zeigen in günstige Himmelsrichtungen.Hier stecken nur wunderbare Kindheitserinnerungendrin. Und eigentlich hat der 53-Jährige auchgar keine Zeit für diesen Bau. "Mit meinerArbeit als Statiker habe ich alle Hände vollzu tun. Aber dieses Schloss zu sanieren, dasist für mich eine Herausforderung."

Wie ein Kind formen

Er nennt das Schloss sein Kind. Eines,das es zu formen und dem es eine Richtungim Werden zu geben gilt. Das beginne bei einemZeitpunkt, auf den man sich mit dem Bauherreneinigen muss: Welcher Zustand des Gebäudessoll rekonstruiert werden? Es läuft auf dieJahre um 1950 hinaus, was angesichts der 250-jährigenGeschichte kaum verwundert. Schließlich gibtes quasi bis auf das, was das Kind am Leibeträgt - Raumaufteilung, Vertäfelungen, Böden,Säulen - nichts mehr aus den Jahren vor demZweiten Weltkrieg.

Die Erziehungsberechtigten sind in diesemFall Statiker Lange und der Besitzer. EinUnternehmer, soviel darf Lange verraten, dersein nach der Wende verdientes Geld nun inImmobilien investiert. Zusammen entscheidendie beiden jeden Schritt. Volker Lange, derFachmann, der das Gebäude in seinem Computerin alle Ebenen aufteilt und zeigen kann, wiedie 27 Räume eingerichtet werden. Und derUnternehmer, der zur Schau stellt, was erhat - aber nicht öffentlich protzen will.Man kennt ihn in Piesdorf und die Menschenfreut es, dass wieder Leben in das märchenhafteGebäude zieht. "Ja, das macht sich jetzt einerschön", sagen sie.

Eine 42-Quadratmeter-Küche, ein 58-Quadratmeter-Foyer,das Wohnzimmer von der Größe einer Vier-Raum-Wohnung,dazu Musikzimmer, Bibliothek, mehrere Bäder:Die Liste reinen Luxus’ ließe sich um einigeinteressante Details fortsetzen: Ein - nochzu bauendes - Schwimmbad mit Sauna im Keller,Gästezimmer mit Bad, zwei komplette Wohnungenim Dachgeschoss für die beiden Kinder, wennsie eine Pause vom Studium brauchen, ein Aufzug.Und eine Hausmeisterwohnung. Denn, wie Langeerklärt: "Ein solches Gebäude muss bewirtschaftetwerden. Da kann man abends nicht ankommenund einfach die Heizung hochdrehen."

Im Fortgang der Arbeiten bekam das Schloss- das übrigens wie jedes Haus eine Nummer,hier die 27, überm Briefkasten trägt - bereitsseine herrlich geschwungenen Fenstergitterzurück. Sie mussten einst dem Brandschutzweichen, als das Gebäude noch ein Kinderheimwar (siehe Kasten). "Damals war ich oft hierund habe mit den Heimkindern gespielt", erinnertsich der studierte Bauingenieur, der sichspäter noch in Sachen Denkmalpflege und -rekonstruktionweiterbildete. "Ich weiß noch, dass ich esso hell, lebendig und weitläufig empfundenhabe." Es sei ein Teil seiner Kindheit, inder er sich nun Tag für Tag bewege. Im idyllischenTeich lernte Lange einst schwimmen, auf demweitläufigen Gelände, das wieder als Parkhergerichtet wird, trat er gegen andere Jungsim Fußball, Schach und Tischtennis an. Lächelndund liebevoll schaut er dabei, auf einem Holzklotzsitzend, auf das Schloss. "Und heute ist meinekleine Anne-Sophie auf mich stolz, weil Papahier alles neu macht."

Nicht alles neu

Alles neu, das stimmt allerdings nur bedingt.Seit fünf Jahren arbeitet Lange an dem Gebäude,war bereits beim Vorbesitzer angestellt. Seitherschmückt ein 150000-Euro-Schieferdach, wiees einst war, das Herrenhaus, das auch aufzum Teil neuen Balken lagert. Ein Fachwerk-Vorbauist gerade fertig geworden, ebenso wie diestattliche Balustrade, die zu Kinderheimzeitenabgebaut wurde. Lange holt sich nur Fachleuteaus der Region ins Haus. Zimmermänner ausWernigerode, Dachdecker aus Halberstadt, Heizungsbaueraus Quedlinburg, ein Steinmetz aus Dessau,Fassadenreiniger aus Belleben, Elektrikeraus Blankenburg - aus ganz Sachsen-Anhaltströmen die Handwerker nach Piesdorf, um dasSchloss herauszuputzen.

Als i-Tüpfelchen auf all der Pracht will derUnternehmer das Turmzimmer so original wiemöglich herrichten. "Vielleicht streichenwir es auch wieder in dem kräftig-dunklenBlau von einst", sagt Lange. Das werde allesStück für Stück besprochen, denn Hektik seibei einer solchen Sanierung Gift. "Was langewährt, wird gut - das gilt gerade für so alteGebäude." Schnell schnell, das habe bei demVorräumen zum Turmzimmer einst zu Gipskartonplattenan den Wänden geführt. "Sie sind nicht nurschlecht verarbeitet, sondern auch anfälligfür Feuchtigkeit und Pilze." Ein Putz wärebesser - und schöner. Im kreisrunden Turmzimmer,dessen Einbauten komplett erhalten sind undgleichermaßen Bett, Sekretär und Sitzbänkeintegriert haben, wird die alte Zeit jedenfallswieder aufleben.

"Ich glaube, ich werde glücklich sein, wenndas Schloss fertig ist", sagt Lange, bevorer das Schloss für heute abschließt. Glücklich- und doch ein wenig traurig, weil sein Kindseine Hilfe nicht mehr braucht.