Hochwasser 2013 Bernburgs Oberbürgermeister zum Hochwasser im Juni 2013: "Hilfsbereitschaft war super"

Bernburg - Im Juni 2013 sind die Städte und Gemeinden an der Saale in Sachsen-Anhalt von der schwersten Überschwemmungskatastrophe seit vier Jahrhunderten heimgesucht worden. Der Pegel in Bernburg stieg am sechsten Junitag auf das Vierfache seines Normalwertes von 1,62 Meter - auf 6,53 Meter.
MZ-Chefreporter Torsten Adam sprach fünf Jahre später mit Bernburgs Oberbürgermeister Henry Schütze (parteilos) über die dramatischen Ereignisse von damals und welche Konsequenzen sich daraus ergeben haben.
Als Bernburg 2013 bis zum 3. Juni sein verregnetes Rosenfest feierte, bereitete sich die Stadt bereits parallel auf die Flutkatastrophe vor. Hatten Sie damals überhaupt ans Feiern denken können?
Henry Schütze: Wir wussten, uns erwartet was. Dass es letztendlich so schlimm kommt, ahnten zu diesem Zeitpunkt aber nur die wenigsten.
Wie ist es in diesem Jahr gewesen, das Stadtfest-Jubiläum feiern zu können, ohne stündlich auf Pegelstände und Wettervorhersagen schauen zu müssen?
Schütze: Absolut entspannter. Wegen des Festprogramms haben wir aber auch nach den Wetterprognosen geschaut.
Während der Überschwemmungen gab es kritische Stimmen, die Behörden hätten die nahende Katastrophe unterschätzt. Was entgegnen Sie denen?
Schütze: Ich glaube nicht, dass jemand die Lage unterschätzt hat. Fakt ist, Wetterentwicklungen dieser Art lassen sich nicht 100-prozentig vorhersagen. Die Vorwarnzeiten waren gegeben, die Daten wurden immer aktuell angepasst.
Leider ist das großflächige Regengebiet über Mitteldeutschland immer wieder zurückgekommen, so dass es Niederschläge in sintflutartigem Ausmaß gab. Wir in Bernburg orientierten uns am Pegel in Halle-Trotha, um die kurzfristigen Trends ermitteln zu können.
Das Wasser hat immense Sachschäden zurückgelassen, die Menschen hat es zusammenrücken lassen. Wie haben Sie damals die Stimmung in Bernburg wahrgenommen?
Schütze: Die Hilfsbereitschaft war super. Nach einem ersten Helferanruf an Studenten der Hochschule Anhalt organisierten sich die meisten Jugendlichen über die sozialen Medien selber. Junge Bernburger zeigten, dass auf sie Verlass ist, wenn sie gebraucht werden.
Selbst Patienten aus dem Maßregelvollzug schippten mit Sand. Und viele Einwohner haben die Helfer gratis beköstigt. Das alles hat mich schwer beeindruckt. Diese Aufbruchsstimmung von damals hätte ich gern über die Jahre konserviert, das wäre der Idealzustand.
Welche Lehren hat die Stadt aus diesem Jahrhundert-Hochwasser gezogen?
Schütze: Dass wir neben der Schadensbeseitigung mehr für die Flutprävention tun müssen. Wir haben unsere Notfalleinsatzpläne optimiert. Aufgrund dieser Erfahrungswerte wissen wir, wie wir am besten reagieren können, sollte sich solch eine Katastrophe wiederholen.
Wie kann insbesondere die Talstadt künftig besser geschützt werden?
Schütze: Wir stehen dort in den Startlöchern, haben bereits Fördermittel vom Land für einen Talstadt-Schutzring bewilligt bekommen. Da wir aber 20 Prozent des 5,6 Millionen Euro teuren Projekts selbst zahlen müssten, sind wir noch in Verhandlungen, ob der Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW), mit dem wir eng zusammenarbeiten, die komplette Finanzierung übernimmt, denn Hochwasserschutz ist eigentlich keine kommunale Aufgabe.
Wir haben uns aber im Eigeninteresse angeboten, die Anlagen für den an seine Kapazitätsgrenzen stoßenden LHW zu bauen. Dafür haben wir eine Mitarbeiterin eingestellt, die sich nur damit befasst.
Wie genau soll dieser Schutzring aussehen?
Schütze: Einen Großteil bildet die Stadtmauer, die in mehreren Abschnitten bereits saniert wurde. Dabei hatten wir den Hochwasserschutz natürlich mit im Blick. Im Bereich Platz der Jugend/Annenbrücke werden feste Anlagen installiert, eine Detailplanung gibt es noch nicht.
An den Straßen sind mobile Spundwände vorgesehen. Saaleseitig vor den Plattenbauten Vor dem Nienburger Tor übernehmen die Ufermauern den Hochwasserschutz.
Ist das alles?
Schütze: Nein, auch um Tiergarten und Saale-Halbinsel wird ein Ring gebaut. Er wird inklusive Freiborde zirka 30 Zentimeter höher sein als der Rekordwasserstand am 6. Juni 2013. Zudem wird durchs Krumbholz, ungefähr parallel zur Saale, ein niedrigerer Wall angelegt, dessen Höhe einem 50-jährigen Hochwasser entspricht.
Wir können dort nicht alles abriegeln, weil sich sonst bei einer ähnlich hohen Überschwemmung wie vor fünf Jahren das Wasser im Hauptstrom aufstauen und die Situation dort und für die nachfolgenden Orte verschärfen würde. Für dieses Projekt sind zirka acht Millionen Euro beim LHW veranschlagt.
In einem letzten Schritt wollen wir gern das Niveau der Altenburger Chaussee am Platz der Jugend um mindestens einen Meter anheben, um dort leistungsfähige Durchlässe zu schaffen, die das Wasser aus dem alten Saale-Bett ableiten. In diesem Zusammenhang ist an der Kreuzung vor dem Ford-Autohaus Eifler auch ein Kreisverkehr geplant, der die schwierige Kreuzung ablösen soll.
Wie viel Geld zur Schadensbeseitigung ist bislang wohin geflossen?
Schütze: Wir haben insgesamt 149 Förderbescheide erhalten, die ein Finanzvolumen von 23,3 Millionen Euro haben. 87 Projekte davon sind komplett abgerechnet. Baulich haben wir aber schon mehr erledigt, ich schätze so 85 Prozent aller Aufgaben.
Noch nicht ganz geschafft sind etwa die neuen Fähranleger, ein Teil der Stadtmauer, die Fahrbahn Am Werder sowie Fußweg und Fahrbahn der Nicolaistraße.
Was waren die größten Brocken, die fertig sind?
Schütze: Die Straßen- und Wegesanierung in der Talstadt, die Stadtmauer, die Ufermauern an der Saale, der Rückbau vieler Kleingartenanlagen. Allein die Beseitigung der Schäden in den Sport- und Freizeitanlagen der Bernburger Freizeit GmbH, darunter der Tiergarten, hat 4,8 Millionen Euro gekostet.
Böse Zungen behaupten, die Flutgelder seien ein zweites Konjunkturprogramm für die Region gewesen. Würden Sie diese Meinung teilen?
Schütze: Nein, auf keinen Fall. Denn es ging ausschließlich um Schadensbeseitigung. Wenn ein 40, 50 Jahre altes Objekt Totalschaden erlitt, wird der Ersatz natürlich nach dem heutigen Stand der Technik gebaut. Das Objekt hat damit auch eine Aufwertung erfahren.
Natürlich haben aber alle an der Schadensbeseitigung Beteiligten – zum Beispiel Planer, Firmen und Verwaltung – ein enormes Pensum zu bewältigen.
Die fünf Jahre haben also viel Kraft gekostet?
Schütze: Für die Stadtverwaltung war das schon eine gewaltige Herausforderung, angefangen vom Stellen der Fördermittel-Anträge über die Abstimmung mit Denkmalschutz- oder Naturschutzbehörden bis hin zu einer ordentlichen Ausschreibung.
Alles ohne mehr Personal. Das war bei dieser Größenordnung schon ein enormer Zusatzaufwand für unsere Mitarbeiter. (mz)