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Bernburgs Bauhaus-Schüler Bernburgs Bauhaus-Schüler: Ein Puzzle fügt sich zusammen

Von Torsten Adam 08.02.2018, 09:03
Der gebürtige Bernburger Werner Chomton malt das Ölgemälde „Der stürmische Frühling“ 1952, ein Jahr vor seinem Tod. Das Werk des ehemaligen Bauhaus-Schülers ist jetzt im Besitz des Magdeburger Arztes Volker Kielstein.
Der gebürtige Bernburger Werner Chomton malt das Ölgemälde „Der stürmische Frühling“ 1952, ein Jahr vor seinem Tod. Das Werk des ehemaligen Bauhaus-Schülers ist jetzt im Besitz des Magdeburger Arztes Volker Kielstein. privat

Bernburg - Wenn das Bauhaus im kommenden Jahr seinen 100. Geburtstag feiert, wird auch ein Sohn der Stadt Bernburg eine Rolle spielen.

„Das Rätsel Werner Chomton“ hatte die MZ getitelt, als sich vor einem Jahr der US-Schriftsteller Peter Kilduff mit der Bitte an die Lokalredaktion gewandt hatte, ihn durch einen öffentlichen Aufruf bei seinen Recherchen zur Vervollständigung der Biografie des Militärfliegers zu unterstützen.

Seitdem haben sich etliche Puzzleteilchen zusammengefügt, die die Vita des 1895 im Haus Friedrichstraße 30 geborenen Werner Chomton vervollständigten.

Bernburgs Bauhaus-Schüler: Ein Bild hat sich ergeben

Daraus hat sich ein Bild ergeben, das offenbart, dass die Militärzeit nur ein Teil seines Lebens war.

Volker Kielstein, Direktor des Henry-van-de-Velde-Museums Haus Schulenburg in Gera, hat eine Abhandlung über den Bauhausschüler, Maler, Schriftsteller, Widerstandskämpfer und Kinderbuch-Illustrator verfasst, die als eine von 100 Geschichten zum Bauhaus-Jubiläum in Weimar erscheinen wird.

Neben ihm haben Bernburgs Heimatforscher Joachim Grossert und Werner Chomtons Nichte Johanne Radbruch dazu beigetragen, dass sich von dem gebürtigen Bernburger eine verlässliche Lebensgeschichte nachzeichnen lässt.

Bernburgs Bauhaus-Schüler: Bild ist aufgetaucht

Im Jahr 2016 tauchte im Handel das Bild „Der stürmische Frühling“ von Werner Chomton auf. Die Ankündigung, der Maler habe am Bauhaus in Weimar Unterricht bei Johannes Itten und Lyonel Feininger gehabt, weckte die Neugier in Volker Kielstein, der das Gemälde erwarb.

Schließlich ist der Arzt nicht nur Betreiber einer Suchttagesklinik in Magdeburg, sondern auch Schatzmeister der Europäischen Vereinigung der Freunde Henry van de Veldes, des Bauhaus-Wegbereiters.

„Meine Recherchen im Hauptstaatsarchiv Weimar, staatliches Bauhaus Weimar, führten zu einem Archivbestand von immerhin 28 Seiten, genügend, um den Bauhausschüler etwas näher kennen zu lernen.

Außerdem hatte ich ja noch das Internet und einige Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte“, berichtet er.

Bernburgs Bauhaus-Schüler: Vater bei Solvay angestellt

Werner Chomton kommt mit seinem Zwillingsbruder Hans am 20. Juni 1895 in Bernburg zur Welt. Bereits fünf Jahre später verlässt die Familie die Saalestadt, weil Vater Louis die Stelle als 2. Direktor der Deutschen Solvay-Werke in Lothringen angeboten bekommt.

Der junge Werner besucht zunächst das Gymnasium in Lörrach, nach einem weiteren Umzug legt er 1914 in Freiburg im Breisgau sein Abitur ab. Schon während der Schulzeit sträubt er sich gegen jede Art von Zwang, der Zeichenunterricht nach Gipsmodellen und Vorlagen gefällt ihm nicht.

Stattdessen geht er in Museen und Ausstellungen, studiert die alten und neuen Meister - und beginnt im Alter von 15 Jahren auf eigene Faust mit Ölfarben zu malen.

Bernburgs Bauhaus-Schüler: Ununterbrochen an der Front

„Ich bin völlig Autodidakt“, schreibt er über sich selbst, wie aus den Weimarer Bauhaus-Unterlagen hervorgeht. Dort finden sich auch Angaben über seine Zeit im Ersten Weltkrieg. „Im August 1914 wurde ich Soldat.

Von September 1914 bis August 1918 war ich fast ununterbrochen an der Front. Zuerst als Jäger, dann bei der Infanterie und M.G.-Formation und Schneeschuh-Bataillon, seit 1916 als Flieger an allen Teilen der West-, Ost- und Südfront.

1918 kam ich wegen nervösen Zusammenbruchs nach Deutschland zurück…“. Seine Erlebnisse während der Kriegsjahre wird er später im Roman „Soldat in den Wolken“ niederschreiben.

Bernburgs Bauhaus-Schüler: Studentin geheiratet

Im Januar 1919 nimmt Werner Chomton ein Studium der Kunstgeschichte und Malerei in München auf, tritt aber noch im Oktober des selben Jahres dem Bauhaus bei und wird Mitglied in dessen Studentenvertretung.

Im Juli 1920 telegrafiert er an Bauhaus-Chef Walter Gropius: „Reichsbund deutscher Kunstschüler gegründet - Bauhausprogramm durchgesetzt - Kundgebung an Landtag folgt per Post – Redaktion der Verbandszeitschrift Weimar.“

Weihnachten 1920 heiratet er Elisabeth Abegg, ebenfalls Bauhaus-Studentin. Sie gilt als beste Freundin der berühmten Textilgestalterin Gunta Stölzl, der ersten Meisterin am Bauhaus.

Exakt zwei Jahre später kommt das einzige Kind des jungen Paares zur Welt, Sohn Lukas. Ein Nachwuchsglück, das später auf tragische Weise enden soll. Lukas wird 1941 als 18-Jähriger zur Wehrmacht eingezogen und stirbt drei Jahre darauf an Kinderlähmung.

Ein Schicksalsschlag, den seine Mutter nicht verkraftet.

Bernburgs Bauhaus-Schüler: Frau scheidet freiwillig aus dem Leben

Nach dem Tod ihres einzigen Kindes scheidet sie zwei Tage später freiwillig aus dem Leben. Ihrem Ehemann hinterlässt sie einen bewegenden Abschiedsbrief. „Werner hat ihn bis zu seinem eigenen Tod stets bei sich getragen“, weiß ihre Nichte Johanne Radbruch, die heute im Alter von 86 Jahren in Potsdam lebt.

Als Werner Chomton wenige Monate vor Kriegsende Frau und Kind verliert, steht er der Naziherrschaft längst kritisch gegenüber.

Hatte das Ehepaar die Machtübernahme Hitlers zunächst begrüßt, wandelt es sich schon 1934 nach den Morden der Nazis an Ernst Röhm und weiteren Führungsleuten der SA zu entschiedenen Gegnern des Regimes, wie Horst Sassin in seinem Buch über die linksliberale Robinsohn-Strassmann-Widerstandsgruppe schreibt.

Diese gewinnt in Werner Chomton einen wertvollen Informanten. Nachdem er sich 1935 als Offizier zur Luftwaffe zurückgemeldet hat, steigt er 1939 zum Major im Stab von Luftwaffen-Chef Hugo Sterrle auf.

Fortan liefert er den Widerstandskämpfern Stimmungsberichte aus der Kommandozentrale der deutschen Luftwaffe.

Bernburgs Bauhaus-Schüler: Kein Schulgeld fürs Bauhaus

Soweit das militärische Kapitel im Leben von Werner Chomton, der indes als Künstler weitaus mehr Spuren hinterlässt.

Bevor er sich bis zu seinem Tod 1953 in München als kreativer Illustrator von Kinderbüchern und Autor von Abenteuer- und Jugendbüchern einen Namen macht, ist sein Leben von wirtschaftlichen Zwängen begleitet.

1921 muss er mit seiner Frau das Bauhaus vorzeitig verlassen, weil er Probleme hat, das Schulgeld aufzubringen.

Der gebürtige Bernburger findet Arbeit in einer Tischlerei bei Osnabrück. Dennoch möchte er unbedingt zurück nach Weimar.

Im Februar 1923 schreibt er: „Sagen Sie, Herr Gropius, können Sie einen Gesellen gebrauchen? (...) Nur als Schüler kann ich nicht kommen, denn ich muss meine Familie ernähren, aber als Geselle und Schüler käme ich gerne.“

Ein paar Tage später antwortet der Bauhaus-Gründer: „Ich habe mir Ihre Sache hin und her überlegt, kann es aber im Augenblick nicht riskieren bei Ihrer wirtschaftlichen Lage, die ich vollkommen verstehe, Ihnen Zusicherungen zu geben, die Sie sicher stellen. Sie kommen leider damit etwas zu spät. Ich habe gerade zwei Gesellen eingestellt, die für die Bauhausausstellung mitarbeiten und habe keinen Grund, diese vorzeitig zu entlassen. Für weitere Einstellungen fehlt aber das Geld.“

Bernburgs Bauhaus-Schüler: Als technischer Leiter angestellt

Chomtons Wunsch erfüllt sich nicht, aber er bleibt mit Gropius in Kontakt. Ein halbes Jahr später teilt er ihm mit, dass er mittlerweile in einer kunstgewerblichen Werkstatt in München als künstlerischer und technischer Leiter angestellt sei.

Weiter schreibt er: „Seit April bin ich hier ohne die Möglichkeit, mit meiner Frau zusammenzuleben. Sie ist mit dem Kind bei meinen Schwiegereltern, weil wir absolut keine Wohnung finden. Nicht mal möbliert. Im Stillen hoffe ich, dass Sie mich doch noch einmal werden brauchen können. Meine Frau träumt immer nur von Weimar. Ich grüße Sie herzlich Ihr alter Werner Chomton.“

Gropius antwortet: „Aber verlassen Sie sich darauf, dass ich Ihnen die nächste freiwerdende Gesellenstelle anbieten werde, sobald Aufträge vorliegen.“

Dazu wird es jedoch nicht mehr kommen. Die Lebenswege des Bauhaus-Vaters und des aus Bernburg stammenden Bauhaus-Schülers sollen sich nicht mehr kreuzen. (mz)