1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Bernburg
  6. >
  7. Bernburg: Bernburg: Mit der Kunst die Zeit festhalten

Bernburg Bernburg: Mit der Kunst die Zeit festhalten

Von FELIX FILKE 04.08.2011, 16:43

BERNBURG/MZ. - István Seidel ist ehrlich. Bevor der Künstler als Teilnehmer für das Kügelgen-Stipendium der Sparkasse ausgewählt wurde, wusste er nicht viel vom Leben und Wirken des Malers und Schriftstellers. Das hat sich jedoch geändert. "Mittlerweile habe ich ihn kennen und schätzen gelernt." Vor allem sieht Seidel in ihm einen "großen Humanisten und Erzähler", der mit seinen "Jugenderinnerungen" einen ironisch-lebhaften Einblick in den Alltag seiner Zeit gibt.

Geboren ist Seidel 1972 in Budapest. Als Achtjähriger kam er mit seinen Eltern aus politischen Gründen nach Deutschland. Die erste Station war ein Notaufnahmelager in Gießen, das Abitur machte er in Wiesbaden, danach wollte er eigentlich Physik studieren. Gezeichnet habe er nebenher schon immer gerne und im Alter von 14 Jahren fing er an in Öl zu malen. Die Physik-Pläne wurden verworfen, stattdessen ging er nach Berlin und bewarb sich an einer Kunsthochschule, wurde jedoch abgelehnt. Seine Reaktion war die erneute Planänderung und er begann ein Studium der Philosophie und Archäologie. Nach vier Semestern wechselte er nach Halle an die Burg Giebichenstein, um Malerei und Textil zu studieren.

Seit seinem Diplom-Abschluss im Jahr 2002 ist er freischaffender Künstler und beschäftigt sich vorwiegend mit Malerei, Grafik und Lichtinstallationen. Das wissenschaftlich Exakte kann und will er jedoch auch als Künstler nicht ablegen: "Ich bin ein sehr rationaler Mensch und will mir alles erklären können." Seit fast einem Jahr hat der 38-Jährige sein Atelier in der ehemaligen Likörfabrik in Könnern eingerichtet - eine Art Leuchtturmprojekt, wie er sagt. "Ich wollte irgendwohin, wo es vorher noch keine Kunst gab." In Halle hatte sich die Situation festgefahren, gerade für ihn als jungen Künstler sah er zu wenig Raum, sich zu entfalten. Das leer stehende Fabrikgelände kam ihm da gerade recht.

Auch wenn István Seidel in Könnern lebt, hat er eine spezielle - gewissermaßen tierische - Verbindung zu Bernburg: "Bären sind meine Lieblingstiere." Ihm gefallen vor allem Kraft, Ausdauer und Gemütlichkeit dieser Tiere. "Und wenn es drauf ankommt, können sie richtig Gas geben."

Das Stipendium der Sparkasse möchte er vor allem dazu nutzen, seine Kenntnisse und Fertigkeiten in einer sehr alten Kunstrichtung zu vertiefen: dem Holzschnitt. Was ihn daran so fasziniere, sei die Tatsache, dass es beim Holzschnitt nur schwarz oder weiß, hell oder dunkel gebe. "So ist auch das Leben." Dabei kombiniert er die europäische Drucktechnik (Ölfarbe; Druck mit Hilfe einer Presse) mit der asiatischen (Wasserfarbe; Druck durch Handabreibung). "Ursprünglich waren drei Berufszweige für einen Holzschnitt notwendig", erklärt Seidel die früher spezialisierte Arbeitsteilung. Den Anfang machte der Motivsammler und Zeichner, der das Motiv auf eine Holzplatte zeichnete. Anschließend übernahm der Holzschneider und ritzte das Bild in die Platte, bevor der Drucker die Farbe auftrug und auf einem Blatt Papier den Druck herstellte. Der Künstler von heute ist alles in einem und mit seinen Werken möchte Seidel dem nahe kommen, was "Holzschnitt" im Japanischen heißt: "Das bedeutet so viel wie ,den Fluss der Zeit festhalten'."

Festhalten will Seidel auf diese Weise auch seine Eindrücke aus Ballenstedt, wo er das Kügelgen-Zimmer besuchte, in dem es so aussieht, als hätte es Wilhelm von Kügelgen selbst gerade eben erst verlassen. Ein Schreibtisch, einige seiner Porträts an den Wänden, ein Esstisch mit Stühlen und sogar seine Pfeife - alles steht, hängt und liegt wie anno dazumal. Diese besondere Atmosphäre des Raumes lässt sich mit spontanen, schnellen Tuschezeichnungen - aus denen später einige Holzschnitte entstehen sollen - am besten einfangen, sagt Seidel. "Das kann man nicht fotografieren." Alles was man spürt, könne man in der Zeichnung auch ausdrücken. "Es stecken viel mehr Emotionen und Individualität darin." Deshalb sei auch jeder Holzschnitt einzigartig.

Einzigartigkeit ist es auch, was nach Seidels Vorstellung ein Werk zum Kunstwerk macht. "Es gibt kein Rezept für Kunst. Kunst ist für mich alles, was aus dem Rahmen fällt." Hauptsache ungewöhnlich, lautet die Devise. Übrigens ist er der Meinung, dass es nicht der Künstler selbst ist, der die Kunst macht, sondern vielmehr die Gesellschaft. "Der Künstler macht nur Bilder."

Weil die ungewöhnlichsten und eindrücklichsten Ideen und Bilder seinen Träumen entspringen, schläft der Wahl-Könneraner erstens lange und hat zweitens stets einen Schreibblock neben seinem Bett liegen, um seine Träume aufzumalen oder zu schreiben. "Meine Hauptinspiration sind die Träume." Die werden in Zukunft jedoch etwas kürzer ausfallen, denn in einigen Wochen wird der 38-Jährige Vater von Zwillingen werden. Doch schon ohne Kinder ist es schwierig, von der Kunst zu leben, sagt Seidel. Und Jobs in Gärtnereien oder Supermärkten hätte er nie lange durchgestanden. Deshalb bedankt er sich nicht nur bei seiner Frau, sondern auch bei den Stiftern des Kügelgen-Stipendiums: "Man kann froh sein, dass die Sparkasse die Kunst derart fördert. Die Kunst ist ein Risiko", schiebt er hinterher, "aber eines, das sich lohnt."

Am 17. und 18. September findet in der ehemaligen Likörfabrik in Könnern (Saalestraße 2) ein "Tag des offenen Ateliers" statt, bei dem nicht nur Kunstwerke zu sehen sind, sondern auch dem Künstler bei der Arbeit über die Schulter geguckt werden kann.

Kontakt zum Künstler gibt es unter Telefon 034691 / 53 70 57 oder im Internet unter www.istvanseidel.de.