1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Bauingenieur der Filmfabrik: Bauingenieur der Filmfabrik: Sein Sohn erinnert sich an Architekten des Wolfener Kinos

Bauingenieur der Filmfabrik Bauingenieur der Filmfabrik: Sein Sohn erinnert sich an Architekten des Wolfener Kinos

Von Christine Färber 21.03.2021, 08:00
Hartmut Seitz mit dem Bild seines Vaters Hugo Seitz, dem  Architekten des Wolfener Kinos.
Hartmut Seitz mit dem Bild seines Vaters Hugo Seitz, dem  Architekten des Wolfener Kinos. Kehrer

Wolfen - „Mazurka der Liebe“ - was für ein Film! Und Hartmut Seitz darf den allerersten Streifen, der im gerade eröffneten Wolfener Kino läuft, nicht sehen. „Ich war noch zu jung“, sagt er.

Das ist jetzt 64 Jahre her. Doch Hartmut Seitz erinnert sich lachend noch genau an diese Episode. Und nicht nur an die. Denn mit dem Kino Wolfen verbindet ihn ein ganz besonderes emotionales Verhältnis: Sein Vater, Bauingenieur Hugo Seitz, ist der Architekt des Lichtspieltheaters.

Am 1. Juli 1956 beginnen die Bauleute mit ihrer Arbeit, fast auf den Tag genau ein Jahr später flimmert schon die Operettenverfilmung, übrigens der erste Total-Visions-Film der Defa, über die Leinwand. „Die Baustelle war für uns Jungs ein Abenteuer. Es waren extra Schienen verlegt worden für die Kipploren, mit denen Sand aus der Kiesgrube geholt wurde. Da haben wir rumgeräubert - das war natürlich verboten“, erzählt Hartmut Seitz.

Sein Vater Hugo Seitz kommt mit seiner fünfköpfigen Familie aus der Pfalz nach Wolfen

Sein Vater Hugo Seitz kommt mit seiner fünfköpfigen Familie aus der Pfalz nach Wolfen. In der Filmfabrik findet er 1937 als knapp 30-Jähriger ein spannendes Angebot: die Gebäude instand halten, sanieren, erweitern etc. Und er entwirft auch neue - für die Filmfabrik, für die Stadt, für Privatleute.

Markante, wie Hartmut Seitz sagt. „Lisenen-Hugo haben sie ihn genannt. Seine Gebäude hatten als Schmuckelemente spezielle Mauerblenden - die Lisenen.“ Die meisten im Werk sind nach der Wende der Abrissbirne zum Opfer gefallen. Das Kino nicht, an ihm nagt nur der Zahn der Zeit. „Hoffen wir, dass das Haus endlich wieder belebt wird“, sagt Hartmut Seitz. Einst war es der Stolz von ganz Wolfen und seiner Kino-Fans: das seinerzeit modernste Kino der DDR. Ein Highlight.

Und das steht Wolfen, der Stadt des Films, und Agfa, dem Hersteller der Filme, gut zu Gesicht. Doch kaum einer weiß, dass das Kino-Projekt damals jahrelang schwelt, bis es endlich durchgesetzt werden kann. „Der Entwurf eines halleschen Architekten fiel durch: zu teuer, zu klotzig“, erinnert sich Hartmut Seitz. „Mein Vater sagte damals: ,Das können wir besser.’“ Und los ging’s. Und zwar an einer recht repräsentativen Ecke der Stadt.

Film- und Farbenfabrik und die Stadt sind mit freiwilligen Aufbauleistungen im Boot

Vom Vater sieht die Familie ab jetzt nicht mehr viel. „Immer, wenn er zu tun hatte, schloss er sich im Arbeitszimmer ein“, blickt Hartmut Seitz zurück. „Er kam dann nur zum Essen raus. In solchen Zeiten hatten wir wenig von unserem Vater. Obwohl er ein Familienmensch war - die Arbeit hat ihn begeistert, gefesselt.“

Seitz stellt unter anderem ein maßstabsgerechtes farbiges Modell des Kinos her. Von dem ist sein Sohn so fasziniert, dass er sich an jedes Detail erinnert. „Die Pappe hat er mit dem Skalpell geritzt und geschnitten. Die Bäumchen und Sträucher gebastelt. Und eine Schau für sich waren die Fenster.“ Leider ist das Modell nach einer Ausstellung abhanden gekommen ...

Den damals zwischen dem Rat des Kreises und seinem Vater geschlossenen Bauleitungsvertrag indes, den hat er noch da. Eine Plansumme von 695.000 Mark steht auf dem vergilbten Papier. Und tatsächlich kein Pfennig mehr wird ausgegeben. Film- und Farbenfabrik und die Stadt sind mit freiwilligen Aufbauleistungen im Boot. An den Bürgermeister richtet Seitz bei der Übergabe die Bitte, „die gärtnerischen Anlagen so pflegen zu lassen, damit sich unsere Bürger immer daran erfreuen können“.

Das Kino Wolfen gehörte während der DDR zur Kreisfilmstelle Bitterfeld, in der unter anderem auch die Kinos Freundschaft und Winterstein-Lichtspiele Bitterfeld, Capitol Raguhn, die Lichtspiele in Greppin, Zörbig, Sandersdorf, Muldenstein, Ramsin, Brehna, Roitzsch, Jeßnitz, drei Landfilm-Touren mit beweglichen Kinomaschinen für unterwegs und die Sommerkinos im Strandbad Sandersdorf und am Muldestausee integriert waren.

Eigentlich wäre Hartmut Seitz selbst gern Bauingenieur geworden

Die Eltern, erzählt Hartmut Seitz, hatten mit der Einweihung des Hauses zwei Ehrenplätze bekommen. „Mitte, zwölfte Reihe.“ Fortan ist er, selbst Kino-Fan, bei den Freunden zuständig für die Karten-Besorgung. Er lacht.

„Ich hatte einen Trick: Ich hab die telefonisch bestellt. Meine Stimme war der von meinem Vater ähnlich. Na, da hat die Kassenfrau gedacht, ich bin der alte Hugo. Ach, das Kino war doch eine Welt! Alle großen Filme haben wir gesehen.“

Eigentlich, sagt er, wäre er selbst gern Bauingenieur geworden. Das aber habe der Vater nicht gewollt. „Damals trat der Große in die Fußstapfen des Vaters. Das war so“, sagt er. So lernt er Schlosser und arbeitet in der Filmfabrik, wo er mit dem Spitznamen „kleiner Hugo“ bedacht wird. Er lacht. „Mein Vater war wirklich eine Persönlichkeit.“ Hartmut Seitz studiert dann Maschinenbau in Chemnitz. Das Schicksal führt ihn zurück nach Wolfen. Und die Filmfabrik wird auch ihm eine berufliche Heimat. (mz)