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Traditionsgeschäft in Aschersleben Traditionsgeschäft in Aschersleben: "Pelz-Stöcker" schließt Ende des Jahres

Von Kerstin Beier 10.06.2016, 16:45
Das Geschäft in der Vorderbreite
Das Geschäft in der Vorderbreite Frank Gehrmann

Aschersleben - Den Begriff „Pelz-Stöcker“ mag Christina Stöcker gar nicht so gern hören. Denn Pelze seien ja schon lange nicht mehr ihr Hauptgeschäft. Die Pelz-Ära ist vorüber, heute beschränkt sich die handwerkliche Arbeit der Kürschnermeisterin auf Reparaturen und das Anfertigen kleiner, modischer Stücke.

Aber der Name hat sich über die Jahrzehnte gehalten. Von „Pelz-Stöcker“ wird wohl auch noch im Rückblick die Rede sein, wenn Christina Stöcker und ihre Schwester Heidi Stemmler das Traditionsgeschäft zum Jahresende endgültig schließen werden.

Die Ascherslebener wissen, dass damit eine Ära zu Ende geht. Eine Ära, die 1957 begonnen hat. Kürschnermeister Friedrich Stöcker, ein Umsiedler aus dem Sudetenland, erfüllte sich nach einigen Jahren als Angestellter der Firma Simke einen lange gehegten Wunsch: ein eigenes Geschäft.

Geschäfte eröffnen, wechseln ihren Standort oder schließen für immer. Und doch gibt es sie noch die Ascherslebener Traditionsgeschäfte. Die, in denen schon Generationen eingekauft haben und die schon immer dort zu finden waren, wo sie auch heute noch sind. Die MZ spürt diese Geschäfte auf, spricht mit den heutigen - und vielleicht auch früheren - Inhabern und stellt die Geschäfte den Lesern im Rahmen der Serie „Laden(be)hüter“ vor. Sollten Sie, liebe Leser, ein solches Geschäft kennen, sagen Sie es uns. Wir sind unter der Telefonnummer 03473/7990250 erreichbar. (mz)

Der handwerklich geschickte Mann, der außerdem noch Organisationstalent besaß, machte sich trotz damals noch vorhandener Konkurrenz schnell einen guten Namen. Auch über Aschersleben hinaus. Seine Frau Rita half in der angeschlossenen Werkstatt beim Nähen und erledigte die Buchhaltung. „Damals hatte jede Frau einen Pelz im Schrank“, erzählt Christina Stöcker. Der Bedarf an Pelzen war also groß, das Material dafür knapp. „Alles war staatlich gelenkt, zu verarbeiten gab es eigentlich nur Felle aus der Kleintierzucht, die über die Einkaufs- und Liefergenossenschaft verteilt wurden“, erinnert sich die 63-Jährige. Auch daran, dass gelost wurde, wenn es einmal einen Fuchs zu verteilen galt und dass jedes noch so kleine Materialschnippelchen aufgehoben wurde. In seiner Tochter Christina fand der Vater bald eine eifrige Mitstreiterin.

Schon als Kind verbrachte sie ganze Tage in der Werkstatt. Während die zwei Jahre ältere Heidi die Arbeit „furchtbar“ fand, wie sie selbst lachend erzählt, erwachte in der Jüngeren großes Interesse an einem Beruf, der Handwerk, Kreativität und Mode verbindet. 1969 ging sie in Dessau in die Lehre, schon zehn Jahre später hatte sie ihren Meisterbrief in der Tasche. 1983 kehrte sie nach Aschersleben zurück. Vater und Tochter müssen ein gutes Gespann gewesen sein, denn die beiden haben sich erfolgreich an internationalen Modellwettbewerben beteiligt. „Es war eine schöne, aber auch nervenaufreibende Zeit. Wir waren zu Spitzenzeiten sechs Leute im Laden und kamen kaum hinterher“, sagt die Kürschnerin.

Ihr Vater hat noch erlebt, dass Christina das Geschäft in der Hohe Straße am 1. Januar 1989 übernahm. Wenige Monate später, im April 1989, starb er. Nach der Wende, nach 38 Jahren am gleichen Standort, musste die Familie etwas Neues suchen. Laden und Werkstatt wurden wegen Eigenbedarfs gekündigt.

1995 eröffneten sie und ihre seit 1991 im Laden mitarbeitende Schwester ein neues Geschäft, einen Neubau an der Vorderbreite. Zum 40 Quadratmeter großen Laden gehört eine kleine, aber voll funktionsfähige Werkstatt. Das Pelzgeschäft ging zunächst langsam, dann immer schneller zurück. Pelze kamen aus der Mode, und „wir wussten, von Pelzen können wir nicht leben“. Also verlegten sie sich gleich nach der Wende auf Leder. Jacken, Kleinlederwaren und Accessoires fanden zunächst reißenden Absatz. 2007 kam Damenoberbekleidung hinzu.

Pelzkunden gibt es vereinzelt auch heute noch. Meist seien es entweder junge Kunden, die sich ein flippiges Teil nähen lassen, oder ältere Damen und Herren. „Heute wird nicht mehr so klassisch verarbeitet“, zeigt sie auf Fotos aus ihrer Sammlung an Bildern und Zeitschriften mit damals aktueller Pelzmode. Damals wie heute gelte jedoch: Die Qualität muss stimmen. Den Umgang mit den Kunden habe sie immer genossen. Genauso wie die Arbeit hinter den Kulissen in der Werkstatt. Wenn sie im Herbst schließt - einen Nachfolger gibt es nicht - werde sie das trotzdem nicht bedauern. „Ich sollte mal Dinge machen, die über all die Jahre liegengeblieben sind“, sagt Christina Stöcker. Dazu gehöre auch, mal richtig Urlaub zu machen. Mehr als eine Woche im Jahr sei nie drin gewesen. „Und auch dann hatte man immer das Geschäft im Hinterkopf“, sagt sie. (mz)

Kürschnermeisterin Christina Stöcker in ihrem Geschäft: Pelz spielt heute kaum noch eine Rolle.
Kürschnermeisterin Christina Stöcker in ihrem Geschäft: Pelz spielt heute kaum noch eine Rolle.
Frank Gehrmann