Salzlandkreis Salzlandkreis: Judenmauer und neue Spuren
HOYM/MZ. - "Zu DDR-Zeiten", glaubt Genau nämlich, "hat man dieses Thema wohl nicht so gerne angefasst." Nur einige Kleinigkeiten seien doch in der Chronik verzeichnet, berichtet Genau und erzählt von ebenjener Judenmauer und dem Judenviertel, das nach seiner Ansicht zwischen Oberstraße, den Tiewänden und der Judenmauer lag. Hier lebten kleine Gewerbetreibende, aber auch ganz normale jüdische Familien. "Eine Synagoge soll es auch gegeben haben. Die hat wohl im Bereich der Oberstraße gestanden, aber dazu kann ich nur Vermutungen anstellen", gesteht der Hoymer.
Mehr entdeckte er in der Ortschronik über das Oppenheimer Haus am Markt. "Eine Familie Blum führte dort ein Konfektionsgeschäft, das zu Kriegszeiten von der Bevölkerung boykottiert wurde - die Familie verließ Hoym, nur die jüdische Eigentümerin blieb zurück." Die wurde kurz vor Kriegsende in den Selbstmord getrieben. Als Jüdin erhielt sie nämlich keine Nahrungsmittelkarten mehr. Einige Hoymer solidarisierten sich laut Chronik zwar mit der alten Dame und steckten ihr Nahrung zu. Doch ein Ortspolizist soll ihr erklärt haben, sie brauche eh kein Essen mehr, weil sie ins KZ komme. Daraufhin nahm die Witwe - die letzte noch in Hoym lebende Jüdin - Gift und wurde auf dem Judenfriedhof begraben.
Der befindet sich oben am Busch. "Der Friedhof ist nach der Wende saniert worden", zeigt der Heimatforscher, der 1945 als Neunjähriger nach Hoym gekommen war, auf eine weitere seiner Zeichnungen. "Der Schlüssel zum Tor befindet sich aber in Dessau, das hat ein Bekannter erfahren, der den Friedhof einmal betreten wollte", so Genau.
Der ist angesichts der sparsamen Informationen über das jüdische Leben in Hoym dem Kreisverband Bernburg und Anhaltischer Harz - einer der drei Untergruppen des Vereins für Anhaltische Landeskunde - recht dankbar. Denn die Mitglieder, die vor kurzem das für Anhalt so wichtige Hoym erkundeten, kamen nicht mit leeren Händen. Reiner Krziskewitz hatte sich in seiner Freizeit ausgiebig mit dem jüdischen Leben in Hoym beschäftigt und aufschlussreiche, noch weitgehend unbekannte Aufzeichnungen mitgebracht.
Danach lebten bereits im 17. Jahrhundert einige jüdische Familien in der Stadt. "Die älteste Nachricht haben wir von Bernd Lewe und Lazarus Bernd, wahrscheinlich Vater und Sohn", informiert Krziskewitz und verweist auf einen Schutzbrief des Fürsten Victor Amadeus aus dem Jahr 1680. "Lazarus Bernd erhält darin die Anweisung, binnen Jahresfrist ein Haus für sich und seine Familie zu erbauen", berichtet der Heimatforscher und folgert: "Diese Tatsache zeigt das Interesse an einer langfristigen Ansiedlung von Juden im Territorium des Fürsten."
Weitere jüdische Familien seien Bernd Cantor und sein Bruder Herz Cantor, die ihre Schutzbriefe 1684 und '85 bekamen, und Kumpert Joseph, der Sohn des Bernburger Hofjuden Joseph Michael. "Und obwohl die Forschungen auf diesem Gebiet nicht abgeschlossen sind, kann festgestellt werden, dass ab dieser Zeit ständig etwa acht bis zwölf jüdische Familien hier lebten", rechnet Reiner Krziskewitz vor und weiß, dass die Hoymer Juden vor allem Kaufleute waren.
Da das anhalt-bernburgische Hoym ab 1709 dann ein Paragium wurde, also die Ausstattung eines zweitgeborenen Prinzen, wurden die Schutzbriefe für die Juden von da an nicht mehr in Bernburg, sondern meist in Schaumburg ausgestellt, wo die Fürsten von Anhalt-Bernburg-Hoym residierten. "Die Judenschaft war wohl zeitweilig so stark, dass sie eine eigene Minja, also eine Gemeinde von zehn Männern, bilden konnte", glaubt Krziskewitz und berichtet davon, dass schon 1788 eine Synagoge - oder besser ein Betraum - erwähnt wird.
Einer der Männer, die dort beteten, muss wohl Isaac Nathan gewesen sein, der Ende 1804 in hohem Alter verstarb. "Er hatte jahrzehntelang in Hoym gelebt und soll angeblich 118 Jahre alt gewesen sein", weiß der Anhalt-Experte von einer Besonderheit und berichtet: "Ursprünglich stammte er aus Königsberg, wo er - wie er oft erzählte - die Königskrönung miterlebte."
Ganz so großartig kann aber auch damals das Leben nicht gewesen sein. "Die Umstände waren für die Hoymer Juden sicher schwierig", glaubt Krziskewitz und berichtet, dass gerade in der Zeit von 1760 bis 1790 in Hoym ansässige Juden vermehrt darum baten, sich in Gernrode oder Harzgerode ansiedeln zu dürfen. Als die Stadt 1812 wieder an Anhalt-Bernburg fiel, gab es im Ort noch 15 jüdische Familien.