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Mit Viren zu internationalem Ruf

Von Petra Korn 20.10.2006, 18:12

Aschersleben/MZ. - Die Mitarbeiter in Aschersleben - wie auch in Quedlinburg - freuen sich, "dass wir einen neuen Standort bekommen mit neuen, besseren Arbeitsbedingungen", sagt Prof. Dr. Thomas Kühne, kommissarischer Leiter der Bundesanstalt. Entsprachen doch die Bedingungen im Theodor-Roemer-Weg der Kreisstadt längst nicht mehr den Erfordernissen. Dennoch: "Ein bisschen Wehmut schwingt mit", denkt Prof. Kühne daran, dass "mit dem Umzug dann eine 86-jährige Tradition der Pflanzenforschung in Aschersleben beendet" wird - in einer Stadt, die insbesondere auch in den Jahren seit der Wiedervereinigung die Einrichtung "immer nach Kräften unterstützt hat", wie der Leiter betont.

Begonnen hatte die phytopathologische Arbeit in Aschersleben am 1. April 1920, als die Biologische Reichsanstalt für Land- und Forstwirtschaft eine Zweigstelle in Aschersleben eröffnete. Die Stadt hatte dafür Räume im damaligen Schlachthof in der Hecklinger Straße zur Verfügung gestellt und sich so gegen andere Bewerber - darunter auch Quedlinburg - durchgesetzt. Ein Botaniker, ein Zoologe und fünf Mitarbeiter nahmen hier die Arbeit auf. Ihre Aufgabe umfasste Untersuchungen von Krankheiten und Schädlingen und der Resistenz der Pflanzen gegen diese, schildert Dr. Frank Rabenstein, Pressesprecher am BAZ-Standort Aschersleben. Insbesondere ging es dabei um die traditionell im Nordharz angebauten Gemüsearten - um Zuckerrüben, Heil- und Gewürzpflanzen.

Doch es zeigte sich schnell, dass die - zudem weit von den Versuchsflächen entfernten - Räume im Schlachthof für die Arbeit nicht sonderlich geeignet waren. Die Stadt reagierte und stellte 1928 die Westphalsche Villa in der Ermslebener Straße zur Verfügung und dazu Flächen in deren Nähe, auf denen ein Versuchsfeld eingerichtet wurde. Ende 1928 wurde Hans Bremer zum Zweigstellenleiter ernannt. Dank seiner Arbeiten beispielsweise zur Kohl- und Zwiebelfliege erlebte die phytopathologische Forschung in Aschersleben eine erste Blütezeit. Aufgrund der nationalsozialistischen Gesetzgebung musste Bremer Ende 1935 ausscheiden. Während des Krieges wurden viele Mitarbeiter einberufen; nach dessen Ende kehrte keiner der Wissenschaftler nach Aschersleben zurück.

Am 1. August 1945 erhielt Maximilian Klinkowski die Berufung zum Zweigstellenleiter - und die Aufgabe, die kleine Forschungseinrichtung als Außenstelle der Biologischen Zentralanstalt (BZA) wieder aufzubauen. Die Außenstelle wurde personell aufgestockt und 1952 als neu gegründetes, selbstständiges Institut für Phytopathologie in die ebenfalls neu gegründete Deutsche Akademie für Landwirtschaftswissenschaften aufgenommen. Die Forschungsarbeit des Institutes wurde maßgeblich durch dessen auch international sehr anerkannten Leiter Maximilian Klinkowski geprägt. "Seine Spezialrichtung war die Pflanzenvirologie", schildert Prof. Kühne. So waren die Diagnose, die Übertragung und die Bekämpfung virusbedingter Krankheiten in verschiedensten Pflanzengruppen fortan ein Hauptschwerpunkt der Forschungsarbeit in Aschersleben. Fortgeführt wurden aber auch die mikrobiologischen und zoologischen Forschungen. Der Ausbau der Aufgabengebiete war verbunden mit einer Erweiterung der personellen und der materiellen Kapazitäten. So wurden beispielsweise in den 50er Jahren Labor und Wirtschaftsgebäude neu gebaut.

Unter den Nachfolgern Klinkowskis, der 1970 in den Ruhestand trat, setzte sich der Ausbau des Forschungsstandortes fort. Neue Aspekte der Phytopathologie kamen hinzu. So rückten beispielsweise Pilzkrankheiten oder bakterielle Pflanzenkrankheiten stärker in den Mittelpunkt und die Möglichkeiten des biologischen Pflanzenschutzes.

Übrigens: Entwickelt und "produziert" wurden am Institut für Phytopathologie auch serologische Testkits, schildert Dr. Rabenstein. Das sind Testbestecks zum Nachweis von Krankheitserregern in Pflanzen. Diese wurden nicht nur in alle RGW-Länder geliefert. Sie gingen auch ins westliche Ausland - zur Erwirtschaftung von Devisen.

Insbesondere der Ausbau der Forschung über Viruskrankheiten an Pflanzen begründete den internationalen Ruf des Ascherslebener Institutes, das auch die gezielte Verbesserung der natürlichen Widerstandskraft der Pflanzen - ihrer Resistenz - in den Mittelpunkt der dann wesentlich anwendungsorientierten Forschungsarbeiten gerückt hatte. Ende der 80er Jahre bestand das Institut aus sieben wissenschaftlichen Abteilungen, in denen insgesamt knapp 300 Mitarbeiter tätig waren.

Die Wiedervereinigung hatte auch Auswirkungen auf die Einrichtung, die stets mit dem Gaterslebener Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) zusammenarbeitete. Laut Einigungsvertrag war die außeruniversitäre Forschung in den neuen Bundesländern neu zu strukturieren. Damit hörte das Institut für Phytopathologie Aschersleben am 31. Dezember 1991 auf zu bestehen. Zum 1. Januar 1992 bildete die zum gleichen Zeitpunkt gegründete Bundesanstalt für Züchtungsforschung (BAZ) drei Institute in Aschersleben mit insgesamt 77 Mitarbeitern: das Institut für Epidemiologie, das Institut für Resistenzforschung und das Institut für Pathogendiagnostik. Ein Schwerpunkt der Arbeiten in den Instituten war und ist es, heimische Kulturpflanzen widerstandsfähiger gegen Krankheiten und gegen Schädlinge zu machen.

1995 erhielt die dem Bundeslandwirtschaftsministerium zugeordnete BAZ von diesem den Auftrag, im Lauf von zehn Jahren 30 Prozent des Personals einzusparen. Verbunden war und ist dies mit der Zusammenlegung von Instituten; so bilden das Institut für Resistenzforschung und das Institut für Pathogendiagnostik seit 1995 gemeinsam das Institut für Resistenzforschung und Pathogendiagnostik und der Zusammenfassung von Standorten, weshalb jetzt die beiden Ascherslebener Institute in die am Hauptstandort Quedlinburg errichteten Gebäude umziehen.

Über die Jahrzehnte hinweg war Aschersleben nicht nur Standort wissenschaftlicher Arbeit; so sind hier weit über 100 Promotionsarbeiten und dazu ungezählte Publikationen, Fachbücher und Buchreihen verfasst worden. Aschersleben war auch ein Ort des Austauschs. "Internationale Tagungen sind immer Höhepunkte im Leben einer wissenschaftlichen Einrichtung", sagt Prof. Kühne. Nach 1961 gestattete die Abgrenzungspolitik des Staates vorrangig nur noch Kontakte in die osteuropäischen Staaten. Das änderte sich mit der Wiedervereinigung. So konnten 1995 eine große internationale Tagung anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Forschungsstandortes und im Jahr 2002 eine weitere große internationale Tagung ausgerichtet werden. Auch am neuen Standort wird diese Tradition fortgesetzt. So ist für 2008 eine internationale Konferenz zu boden- und pilzübertragbaren Viren geplant.