Lyra-Chor Aschersleben Lyra-Chor Aschersleben: Per Ebay-Kleinanzeige

Aschersleben - Einen Taktstock braucht er nicht. Er dirigiert den Chor mit den Händen. Die beschreiben kreisend die Sanftheit der Melodien, geben Einsätze, bringen energisch die schnelleren Töne auf den Punkt, drosseln die Lautstärke oder heben sie an.
Klaus Tietze ist ganz in seinem Element, summt oder singt die Lieder mit, die der Lyra-Chor von Aschersleben im kleinen Saal des Bestehornhauses singt. Doch nicht mehr lange. Denn zum Jahresende will sich der 83-Jährige als künstlerischer Leiter des Chores verabschieden. „Unser Weihnachtskonzert wird das letzte mit ihm sein“, bedauert Eugen Franke, der Vorstandsmitglied ist und die Konzerte moderiert.
Die große Überraschung
„Er hat den Chor seit weit über 20 Jahren geprägt. Er ist Profimusiker, Kapellmeister. Da wird es schwer, Ersatz zu finden“, erklärt Franke gerade noch bedauernd. Und bekommt prompt eine Überraschung präsentiert. „Ich habe gute Nachrichten“, unterbricht Jutta Gabler ihn und kündigt mit Zoe Dieterich ein junges Mädchen an, das die neue Chorleiterin werden möchte.
Jutta Gabler schwärmt von der erst 16 Jahre alten Schülerin. „Sie geht im Magdeburger Hegel-Gymnasium in eine Spezialklasse und hat die Chorleiterausbildung mit Bravour bestanden“, erzählt die Vereinsvorsitzende und hat die Magdeburgerin kurzerhand zum Herbstkonzert eingeladen. Da hat sie es sich ganz vorn in der ersten Reihe bequem gemacht, um die Sänger bei ihrem Auftritt zu beobachten und einen ersten Eindruck zu bekommen.
Dass sie den Chor gefunden hat, bezeichnet sie als großes Glück. Ihre Mutter hatte bei den Ebay-Kleinanzeigen entdeckt, dass die Ascherslebener einen Nachfolger für Klaus Tietze suchen. Und so hatte sich die junge Frau, die mal Kunst- oder Musiktherapeutin werden möchte, gleich beim Lyra-Chor gemeldet. Hier wird es jetzt noch eine Verhandlungen zu den Modalitäten geben. Und dann könnte die Schülerin den Chor ab Jahresende übernehmen. Die wöchentliche Fahrt von Magdeburg nach Aschersleben zu den Proben nähme sie dafür gern in Kauf.
Für die 30 Sänger und Sängerinnen eine gute Nachricht. „Wir haben ein festes Publikum und einen gewissen Anspruch“, erzählt Eugen Franke von dem Chor, der einst als Chor des Bestehornhauses gegründet und nach der Wende in Lyra-Chor umbenannt wurde. „250 Stücke haben wir im Repertoire, alle im Laufe der Zeit erarbeitet“, bilanziert Franke. „In den vielen Jahren waren wir so aufeinander abgestimmt“, erzählt auch Brunhilde Stegmann, die seit 1987 im Chor mitsingt. „Wir sind wirklich dolle traurig, dass Klaus Tietze geht, da darf man gar nicht dran denken.“
Der Wunschberuf
Der hatte schon in jungen Jahren den Wunsch nach einem musikalischen Beruf. Er studierte an der Berliner Musikhochschule Dirigat und Chorleitung, kam über Berlin, Neustrelitz, Stendal und Quedlinburg zum Lyra-Chor. Der Witwer, der Vater von vier Kindern und mehrfacher Großvater ist, arbeitete auch am Ascherslebener Gymnasium als Musiklehrer, wo er ebenfalls den Schulchor leitete.
Aktiv war Tietze auch im Landes-Chorverband, wo er Verbands-Chorleiter war. Nun will der Senior aber etwas kürzer treten. Und so freut sich Brunhilde Stegmann, dass der Lyra-Chor, der seit einem halben Jahr verzweifelt einen Nachfolger suchte, nun offenbar fündig wurde. (mz)
