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Flaggschiff steuert neuen Hafen an

Von Kerstin Beier 17.06.2005, 17:08

Aschersleben/MZ. - Dirk Lindemann begegnet man nicht, ohne mindestens einen Witz zu hören. Zum Rauchen geht er raus auf den Rathausflur - und wenn Lindemann am Ascher steht, bleiben vorbeieilende Kollegen fast immer kurz stehen - zum Plausch mit dem Chef im Amt für Wirtschaft und Gewerbe. Als Chef ohne Allüren kennen die Rathausmitarbeiter den 44-Jährigen mit dem dunkelblonden Stoppelschnitt. Das bescheinigt ihm auch Sekretärin Kathrin Kasecker. Aufbrausend, wütend oder mürrisch habe sie ihn jedenfalls nie erlebt - obwohl beileibe nicht alles witzig war, was er in den vergangenen zehn Jahren als Wirtschaftsförderer durchlebte.

In Zukunft werden die Mitarbeiter im Ascherslebener Rathaus auf die humoristischen Einlagen von Lindemann verzichten müssen. Denn der ehemalige Gewerkschaftsmann verlässt den öffentlichen Dienst und verabschiedet sich als neuer Geschäftsführer der Hafen Halle GmbH in die freie Wirtschaft. Den Job sieht er als Chance, mit Mitte 40 einen neuen Berg zu bezwingen. Und dass qualifizierte Arbeit "draußen" besser bezahlt wird - er verhehlt es nicht.

Oberbürgermeister Andreas Michelmann (Widab) und viele seiner engen Mitarbeiter haben den Schock inzwischen verdaut, einen ihrer besten Leute ziehen lassen zu müssen. Als Lindemann 1995 anfing bei der Stadt, flossen 998 000 Euro Gewerbesteuern ins Geldsäckel. Heute sind es neun Millionen. Die Zahl der Arbeitsplätze im Gewerbegebiet an der Güstener Straße hat sich unter seiner Ägide fast verzehnfacht. Dass sich im Norden der Stadt neben Handel und Dienstleistung auch produzierendes Gewerbe angesiedelt hat und ein leistungsstarkes Fliesstoffzentrum entstehen konnte, ist überwiegend das Verdienst von Lindemann.

In den Unternehmen von APA über Corovin bis Finotech kennt man ihn natürlich - mit den Chefs, die er unter anderem beim Beschaffen der Fördermittel unterstützt hat, hält er ständigen Kontakt. Der sonst so vorsichtige Wachschutz grüßt nur kurz und öffnet die Schranke, wenn er mit seinem Renault Scenic vorfährt. Karsten Sawall, bei Finotech für die Logistik verantwortlich, lobt Lindemann als "Allrounder" mit Verbindungen in vielen Ländern. "Ein Bürokrat ist er ganz sicher nicht", weiß er aus zahllosen Begegnungen.

Wer Lindemann im lockeren Gespräch erlebt, der kann ihn sich nur schwer vorstellen bei schwierigen, ernsthaften Verhandlungen mit potentiellen Investoren, mit gewichtigen Chefs in schwarzen Anzügen. Woher nimmt er sein Selbstbewusstsein? Lindemann winkt ab. Selbstvertrauen habe er sich vor allem in seiner Zeit als Gewerkschaftsfunktionär erarbeitet - als er in mehreren Aufsichtsräten vor allem im Westen saß, Tarifverhandlungen führen musste und mehrfach aneckte, weil er Haustarifverträge manchmal vernünftiger fand als Flächentarife.

Noch heute freut er sich, wenn er an eine Aufsichtsratssitzung im EHW Thale denkt, bei der es um die Satzung ging und er vieles "anders gelesen hatte, als es vom ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht durchgesetzt werden sollte". Weil Lindemann alles blockierte, musste die Sitzung ausgesetzt werden. Am nächsten Tag ging es mit der Hilfe von Anwälten weiter, die Lindemann meist Recht geben mussten. "Seitdem weiß ich: Die kochen alle nur mit Wasser", schmunzelt er. Später, als Amtsleiter, scheute er in einem Fall nicht davor zurück, den damaligen Ministerpräsidenten Höppner privat zu Hause anzurufen. "Anders ging es nicht, denn Corovin hätte sonst nicht in Aschersleben, sondern in Parchim investiert." Sein Business-Englisch, das anfangs nicht über Schulkenntnisse hinausging, hat er sich selbst eingehämmert. Und wer ihn beim Rasenmähen mit Kopfhörern erwischt, der kann sicher sein: Es ist nicht Musik, die aus den Stöpseln schallt, sondern Englischvokabeln.

"Ein Wirtschaftsförderer ist so was ähnliches wie ein Stürmer im Fußball. Er muss auch dahin, wo es wehtut," meint Michelmann im Rückblick. Und so lobt er noch heute den Einsatz von Lindemann, als es mit dem Ballhaus immer weiter bergab ging und sich Lindemann für ein halbes Jahr als Geschäftsführer zur Verfügung stellte. "Ich wollte einfach nicht, dass das Ballhaus gegen die Wand gefahren wird. Es wäre schade um ein Ding, das für Investoren ein gutes Argument ist", meint Lindemann heute, während er im Büro die letzten persönlichen Sachen zusammenpackt. Darunter ein gerahmtes Foto, das eine Flusslandschaft im Abendsonnenlicht und ein paar Häuschen am Ufer zeigt - eine Erinnerung an eine Bootstour in Nashville (IUSA). Wo immer er ist - ein Fotoapparat liegt im Auto. Auch wenn die Zeit nicht reicht, um das Fotografieren intensiv zu betreiben. Die wenigen Momente, die bleiben, verbringt der Vater einer 21-jährigen Tochter am liebsten mit seiner Frau.