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Andreas Liste vom „Arbeitskreis Hallesche Auenwälder zu Halle Saale“ „Einfach die Finger davon lassen“

Trotz Frust über Politik und Wirtschaft hört der Jobcenter-Angestellte nicht auf, für Bäume zu kämpfen.

02.05.2021, 13:00
Andreas Liste führt zum Tag des Baumes eine Exkursion durch das Trothaer Wäldchen.
Andreas Liste führt zum Tag des Baumes eine Exkursion durch das Trothaer Wäldchen. Foto: Phillip Kampert

Aschersleben/Halle - Ein Dutzend Naturfreunde und -freundinnen steht im Halbschatten des Trothaer Wäldchens. Gebannt wird dem Wanderungsleiter Andreas Liste gelauscht, der das Wachsen und Wuchern des Waldes verständlich macht. „Das ist alles Feldahorn“, sagt er und zeigt auf die jungen Bäume ringsum - einige knöchel-, andere schulterhoch. Liste ist Vorsitzender des „Arbeitskreis Hallesche Auenwälder zu Halle Saale e. V.“ (AHA), der auch in der Region um Aschersleben mit Exkursionen aktiv ist. Anlässlich des Tags des Baumes am Wochenende hat der Verein zur Exkursion in Halle geladen.

Seit über 40 Jahren beobachtet Liste die Entwicklung des Stadtgrüns mit Argusaugen. So erkennt er den sprießenden Feldahorn, der sein Publikum umgibt, als eher neues Phänomen. „Die Natur zeigt, dass er mit Trockenheit gut auskommt“, sagt Liste. Eschen- und Spitzahorn dagegen würden langsam verschwinden.

„Wer so etwas tut, muss Bäume wirklich hassen“

Listes Stimme ist voller Hingabe, wenn er über die Prozesse im Wäldchen spricht. Durch das natürliche Verdrängen des einen Ahorns durch den anderen reguliere sich der Wald selbst - viel besser als durch Menschenhand. Sobald er auf das Thema des menschlichen Eingreifens in die Vorgänge der Natur kommt, verschwindet die Hingabe aus seiner Stimme. Trotz jahrelangen Engagements für natürliche Selbstregulierung der städtischen Biotope konnten Liste und sein Verein die Fäll- und Pflanzaktionen im Trothaer Wäldchen nicht verhindern.

Er zeigt auf eine eingezäunte Gruppe gepflanzter Jungeichen, die in der prallen Sonne völlig falsch stünden und in der Hitze bloß vergingen. Anschließend klopft er auf eine Robinie, der ein breiter Streifen Rinde rings um den Stamm entfernt wurde. Durch den unterbrochenen Saftstrom wird der Baum unweigerlich eingehen. „Wer so etwas tut, muss Bäume wirklich hassen“, sagt Liste.

Eine völlig falsche Lösung

Er klingt erschöpft und enttäuscht. Es werde Geld in die Hand genommen, um gedeihende Arten abzutöten und solche anzupflanzen, für die der Standort völlig falsch sei. Listes Lösung ist klar: „Einfach die Finger davon lassen.“ Die Natur manage sich am effizientesten selbst. „Das Geld sollte man lieber für Straßenbegrünung ausgeben.“

Wenn der gelernte Gartenbauingenieur von Pflanzen spricht, ist seine Liebe ansteckend, ebenso wie seine tiefe Enttäuschung über den freien Markt und die repräsentative Demokratie. In der DDR habe sein Arbeitskreis noch etwas bewirken können: Nach vier Jahren Verhandlung mit der SED-Stadtleitung sei Streusalz, das den Bäumen Wasser entzieht, 1987 verboten worden, erzählt er. Liste fühlt sich ohnmächtig im Angesicht des Lobbyismus von Öl- und Automobilindustrie. Er sieht, wie trotz Petitionen und Aktionen des AHA immer mehr Biotope wirtschaftlichen Interessen weichen müssen.

Hat Liste die Politik schon abgeschrieben?

Zusätzlich sehe er bei seinem Beruf im Jobcenter täglich Leute, „die vom System ökonomisch nicht mehr verwertbar sind“ und durch alle gesellschaftlichen Raster fallen würden. Immer wieder bringt er seinen Frust auf eine wütende Formel: „Mit Demokratie hat das nichts mehr zu tun.“ Von den Parteien, auch den Grünen, halte er nicht viel, aber die Schulstreiks von „Fridays for Future“ seien eine gute Sache. Schließlich breitet er die Arme aus, schließt mit der Geste sich selbst, die Exkursion und das Wäldchen mit ein: „Das hier, das ist Politik.“ (mz/Phillip Kampert)