1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Aschersleben
  6. >
  7. Ehrenbürgerin 95 Jahre alt: Ehrenbürgerin Hildegard Ramdohr aus Aschersleben 95 Jahre alt: Gründerin Förderkreis Stadtbefestigung

Ehrenbürgerin 95 Jahre alt Ehrenbürgerin Hildegard Ramdohr aus Aschersleben 95 Jahre alt: Gründerin Förderkreis Stadtbefestigung

Von Detlef Anders 04.05.2020, 14:56
Hildegard Ramdohr aus Aschersleben ist am Sonntag 95 Jahre alt geworden.
Hildegard Ramdohr aus Aschersleben ist am Sonntag 95 Jahre alt geworden. Frank Gehrmann

Aschersleben - Als Hildegard Ramdohr erstmals nach Aschersleben kam, da weinte sie bitterlich. Sie war 13 Jahre alt. Die Eltern waren von Koblenz nach Aschersleben gezogen. Die 13-Jährige war nach einer Krankheit zur Kur in Kühlungsborn.

Die Eltern hatten ihre Tochter von der Schule abgemeldet. Und als es ihr nach der Info in der Klinik schlechter ging, riet ihr die Chefärztin dazu, zu den Großeltern nach Koblenz zu fahren. Sie wurde sogar wieder an der Schule angemeldet, doch die Eltern setzten sich durch.

Hildegard Ramdohr kam am Abend des 9. November 1938 im dunklen Aschersleben an. Keine Straßenbahn, kein Lichtermeer. Und noch in derselben Nacht brannte die Synagoge, wurden jüdische Geschäfte geplündert. Am Rhein hatte Hildegard Ramdohr mit jüdischen Kindern gespielt. Sie verstand es nicht.

Am Sonntag, 3. Mai, wurde Hildegard Ramdohr 95 Jahre alt

Inzwischen ist Hildegard Ramdohr Ehrenbürgerin der Stadt Aschersleben. Am Sonntag wurde sie 95 Jahre alt. „Ich kam auch an einem Sonntag zur Welt. Schon am nächsten Morgen wurde ich getauft.“ Wenn Hildegard Ramdohr aus ihrem Leben erzählt, dann sprudelt es nur so aus ihr heraus. In Aschersleben kennt sie heute fast jeder.

Als sie 90 wurde, hatte sie Oberbürgermeister Andreas Michelmann mit einer Pferdekutsche abgeholt, erinnert sie sich mit leuchtenden wachen Augen. Bei fast jeder Kulturveranstaltung in der Stadt ist Hildegard Ramdohr noch heute dabei.

Jetzt, in der Corona-Krise, holt sie sich per Radio Kultur ins Haus. Sie löst Kreuzworträtsel, liest, ist in ihrem Garten oder fährt mit ihrer Tochter raus in den Harz, ins Seeland und begleitet die Tochter zum Kirchendienst.

Hildegard Ramdohr holt sich in der Corona-Krise per Radio Kultur ins Haus

Natürlich geht sie auch gern durch die Promenade an der alten Stadtbefestigung entlang. Dass diese saniert ist, das hat Aschersleben auch Hildegard Ramdohr zu verdanken. Bevor ihr Mann 1985 starb, hatte sie ihm erklärt, einen Verein zum Erhalt der mittelalterlichen Stadtbefestigung gründen zu wollen.

Bei einem Besuch bei den Verwandten in Köln hatte sie erfahren, wie die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und private Spender es schaffen, Denkmäler zu erhalten. Doch erst nach der Wende, am 20. Juni 1990, konnte sie mit sechs Gleichgesinnten den Förderkreis zur Restaurierung und Erhaltung der historischen Stadtbefestigungsanlagen von Aschersleben gründen.

Mitbegründerin des Förderkreises zur Restaurierung der Stadtbefestigungsanlagen 

„Da gab es noch DDR-Mark“, erinnert sie sich und erzählt, wie sie zu Nachfahren von bekannten Persönlichkeiten der Stadt, wie der Familie Bestehorn, fuhr, um Spenden zu sammeln.

Für ihr Engagement hatte sie 1997 den Verdienstorden der Bundesrepublik und 2014 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse vom Bundespräsidenten erhalten. Gemeinsam Peter Maffay, Gunter Emmerlich, Iris Berben und anderen wurde sie geehrt. „Doch die schönste Ehrung war für mich die Ehrenbürgerschaft“, sagt Hildegard Ramdohr.

Die Katholikin tritt sehr für Ökumene ein, ist oft auch in der Stephanikirche. Sie besuchte als Kind in Aschersleben eine katholische Schule und lernte in den Junkers-Werken. „Ich hatte nie etwas für Nazis übrig“, betont sie. „Ich habe auch den Ausländern geholfen, die da gearbeitet haben.“

Und als die heutige Polizeischule noch Lazarett war, sprach sie dort als Teenager mit Schwerkranken. Der Kloß im Hals ist bei ihren Worten darüber zu spüren. 1945 zog Hildegard Ramdohr zu ihrem Onkel ins völlig zerstörte Köln, wo sie auch noch einen Bombenangriff im Dombunker erlebte.

Als die heutige Polizeischule noch Lazarett war, sprach Ramdohr dort als Teenager mit Schwerkranken

Noch heute sieht sie sich als „Kind vom Rhein“ und hat ein kleines Modell des Kölner Doms im Wohnzimmer stehen. Zwei Jahre arbeitete sie am Gesundheitsamt. Bei ihrer Einstellung schüttelte ihr Konrad Adenauer als damaliger Kölner Oberbürgermeister die Hand.

Heimweh nach den Eltern führte sie 1947 nach Aschersleben zurück. In der Konsumgenossenschaft gab es Arbeit. Sie lernte ihren Mann kennen und heiratete. 1949 kam Tochter Gabriele zur Welt. Die Familie blieb in Aschersleben. Die Eltern von Hildegard Ramdohr verließen die sowjetische Besatzungszone. Über Telefon und Briefe blieben sie in Kontakt. Nach dem Tod ihres Mannes war Hildegard Ramdohr als Reiseleiterin viel unterwegs.

Wenn Hildegard Ramdohr mal am Boden ist, dann fährt sie gern an Orte ihrer Jugend. So wie letztes Jahr nach Dessau in das Junkers-Museum, wo sie dem Verein ihren alten Betriebsausweis aus den 1940er Jahren zeigte. „Man hat viel erlebt in 95 Jahren. Mit Herz und Verstand. Aber manchmal war es auch nicht so einfach“, sagt sie. Nun hofft sie zunächst, dass die Pandemie besiegt wird. Dann könnte sie ihren 95. Geburtstag ja irgendwann nachfeiern. (mz)