MZ-Serie Die Sache mit dem Advent
Marlen Luthers Liebeserklärung an das Dorf und wie sie doch noch zur Besinnlichkeit fand.

Aschersleben/MZ - Da ich höre, wie der 3. Advent bereits seine Sohlen an der Stiefelbürste vor unserer Tür vom Schnee befreit, um bald danach einzutreten, ist es vielleicht an der Zeit, auch in den Dorfgeschichten ein wenig weihnachtlich zu werden. Stolz kann ich behaupten, dass nun auch ich es geschafft habe, auf den Vorweihnachtszug aufzuspringen, nachdem ich in Anbetracht der vielen Plätzchen- und Erste-Lichtlein-Bilder in den sozialen Medien bereits in leise Panik geraten war, weil ich wieder mal zu spät dran war mit allem.
Plätzchen schon weg
Bei uns zuhause waren die Plätzchen, die für den ersten Advent gebacken worden waren, an selbigem längst aufgegessen, die Berge von Tannengrün warteten, einsam auf dem Hof liegend, vergeblich darauf, zu einem Kranz gebunden zu werden und die Kerzen, die ich besorgt hatte, standen immer noch sehr unfeierlich eingeschweißt in ihrem praktischen Viererpack.
Während gefühlt sämtliche glückliche Familien am ersten Adventswochenende glückliche Plätzchen buken, Weihnachtslieder summend glückliche Lichterketten an ihren Häusern anbrachten und ihr glückliches erstes Lichtlein anzündeten, saß ich mitten im Berliner Stadtverkehr fest und verfolgte den Black-Friday-Wahnsinn. Dem Verkehrsfunk lauschend, der länger dauerte als die Nachrichten und das Wetter zusammen, versuchte ich, mich ein wenig einzustimmen auf die besinnliche Zeit.

Von einem Bekleidungshersteller, von dem ich als leichtfertiger Kundenkartenbesitzer regelmäßig mit einem Newsletter bedacht werde, erschienen im Stunden-Takt E-Mails auf meinem Handydisplay, die mich beruhigen wollten, dass ich sowohl vor als auch nach dem Black Friday noch einige Tage in den Genuss saftiger Rabatte kommen würde. Ich schlug nicht zu und verpasste es, so richtig Geld zu sparen.
Gemeinschaftsgefühl unterm Weihnachtsbaum
In unserem Dorf ist es Tradition, dass am Freitag vor dem ersten Advent ein Weihnachtsbaum auf dem Dorfplatz aufgestellt wird. Die Feuerwehr kümmert sich um das Aufstellen, ein kleiner Kern der Dorfbewohner unterstützt seelisch, moralisch und mit Glühwein, die Kinder dekorieren mit selbst gebasteltem Baumschmuck. Das Ausrichten des Baumes in die optimale Stellung ist zweifellos eine demokratische Angelegenheit. „Noch ein bisschen nach links!“ „Ja, jetzt nochmal eine viertel Drehung nach rechts!“, wird zwischen zwei Schlucken Glühwein und einem Mund voll Gewürzspekulatius gerufen. Am Ende sieht der Baum immer wunderbar aus, auch wenn er ein bisschen krumm und irgendwie zu groß für die Lichterkette ist. Das spielt so wenig eine Rolle wie der verpasste Black-Friday-Rabatt.
Wir haben gemeinsam etwas geschafft, auf das wir stolz sein können und machen es uns einfach ein bisschen weihnachtlich. Das Ritual ist es, was zählt. Ich habe den Eindruck, dass diese Dorfgepflogenheiten immer ein wenig belächelt werden, ja, manchmal gar so, als wären die Leute ein bisschen minderbemittelt, weil sie so’nen Firlefanz betreiben. Dabei haben sie etwas, was wir uns insgeheim alle wünschen. Mag sein, für den ein oder anderen klingen diese Worte wie alte, angestaubte Schinken aus einer Bibliothek, die längst keiner mehr besucht hat – Gemeinschaftsgefühl, Zusammenhalt, Freundschaft. Für den anderen sind sie abgegriffen oder ausgehöhlt wie ein Christstollen, aus dem jemand Rosinen und Marzipanfüllung herausgefuttert hat.
Wenn man es jedoch selbst erlebt, dieses Gemeinschaftsgefühl, merkt man, dass wir den Worten vielleicht unrecht tun. Worte werden lebendig und bekommen dann ihre Bedeutung, wenn wir sie erfühlen. Und auch wenn jeder etwas anderes darunter versteht, gibt es mit Sicherheit einen kleinen Nenner, den wir gemeinsam haben. Und hey, ist das nicht Advent? Ist das nicht der Gedanke der Weihnacht?
Kerzen auf dem Tisch
Pünktlich zum 2. Advent standen dann auch unsere Adventskerzen auf dem Tisch. Nicht auf einem Kranz, nicht im Gesteck, nein, einfach nur hingestellt auf ein Holzbrett. Dekoriert mit kleinen gelben Quitten, ein paar Zweiglein und einigen goldenen Küglein für den Glanz. Und es sah sogar wunderbar aus. Die ganzen Kisten mit unzähligen Keramikweihnachtsmännern, Schneelichtern und Schnitzereien, die auf dem Dachboden stehen, werden dieses Jahr ausnahmsweise mal nicht in ihrem Sommerschlaf gestört. Wir lassen sie einfach liegen. Nächstes Jahr können wir sie ja, wenn wir Lust haben, wieder hervorkramen und freuen uns dann vielleicht ganz besonders darüber, wie über einen Freund, den man unverhofft trifft. Ein bisschen ist das dann auch wie einkaufen gehen, nur „ohne Bezahlen“, womit ich die verpassten Rabatte dann bestimmt wieder raus hätte ...