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Cochstedt Cochstedt: Verschlafen im Hakelschatten

Von Marko Jeschor 13.09.2016, 14:09
Luftaufnahme von Cochstedt
Luftaufnahme von Cochstedt Gehrmann

Cochstedt - Wenn es eines Symbols für Cochstedt bedarf, dann ist es das ehemalige Rathaus in der Ortsmitte. Ein Jahr nach dem Mauerfall bezog Wolfgang Weißbart als erster, freigewählter Bürgermeister der Stadt sein Büro in dem Haus, das zu DDR-Zeiten noch als Lehrlingswohnheim das VEG Pflanzenzucht Aschersleben diente. Von dort aus wurde gut eineinhalb Jahrzehnte die Kommunalpolitik betrieben. Heute empfängt Weißbart Bürger im Rathausgebäude nur noch als ehrenamtlicher Ortsbürgermeister zu seinen Sprechstunden, und das auch nur noch zweimal im Monat. Seitdem das Machtzentrum nach Hecklingen verschoben verschoben wurde, gibt es nicht mehr viel zu entscheiden.

Das Rathaus steht fast leer, wird eigentlich nur noch vom Jugendclub und dem Heimatverein genutzt. Wenn man mit Weißbart über Cochstedt spricht, dann geht es unweigerlich um die Entwicklung des Ortes, den manche Einwohner als verschlafen, bezeichnen, andere wiederum von der Entwicklung abgehängt sehen. Beides trifft wohl zu. Verschlafen, weil der 1.000-Seelen-Ort inmitten von Feldern liegt, am Rande des Hakel-Waldes. Abgehängt, weil die meisten für einen größeren Ort wichtigen Einrichtungen längst verschwunden sind.

Im Jahr 941 wurde Cochstedt erstmals urkundlich erwähnt: von König Otto I., der seinem Paten Siegfried das Dorf "cokstedi" schenkte. Historiker gehen jedoch davon aus, dass es den Ort schon länger gibt. Um das Jahr 600 sollen erste Gehöfte angelegt worden sein, heißt es unter anderem in der Chronik, die kurz nach der Wende anlässlich des 1050-jährigen Bestehens herausgegeben wurde. Verbirgt ist neben der Ersterwähnung noch, wann Cochstedt das Stadtrecht verliehen bekam: 1535 von Bischof Albrecht von Halberstadt. Deshalb ist auch das Stadtwappen in den Farben rot und weiß gehalten.

1556 erlebt der Ort die Auswirkungen der Reformation. 1648 wird Cochstedt im Ergebnis des Westfälischen Friedens Brandenburg zugeordnet, 1701 fällt es an das Königreich Preußen, 1807 an das Königreich Westfalen. Ab 1916 erst wird Kochstedt offiziell mit "C" geschrieben. Der Ort wurde von der Geschichte nicht verschont: Von ehemals 1 000 Einwohnern überlebten den Dreißigjährigen Krieg nur 46. In den Jahren 1636, 1646 und 1693 wüteten zudem große Feuer, dabei wurde fast die ganze Stadt zerstört. 1681 grassierte die Pest.

Die Hoffnung zum Beispiel, dass zumindest der Flughafen Magdeburg-Cochstedt den Ort in irgendeiner Form nach vorn bringt, sind spätestens seit der Insolvenz Anfang des Jahres völlig verschwunden. Andere Firmen mit ähnlich vielen Mitarbeitern gibt es nicht, auch die Landwirtschaft, seit jeher prägend für den Ort, kann nicht mehr annähernd so viele Menschen beschäftigen wie noch zu Zeiten der DDR. Ortsbürgermeister Weißbart fasst es nüchtern so zusammen: „Die Lage hat sich verschlechtert."

Früher war die Post in Cochstedt es gab eine Apotheke, Ärzte, mehrere Fleischer, mehrere Schulen und mehrere Kneipen, ja sogar ein Schwimmbad. Es wurde regelmäßig groß gefeiert, insbesondere im 1842 gebauten Volkshaus, das heute wie so viele Häuser im Ort die besten Zeiten hinter sich hat. Geblieben ist neben einer Kneipe im Ortskern noch eine Sparkassenfiliale, dem Einkaufsmarkt von Sabine Eckert nur noch die Kindertagesstätte und der Friedhof. Ohne Auto geht insofern fast nichts mehr.

Die wichtigsten Stützen des gesellschaftlichen Lebens waren damals wie heute der Sportverein und der Karnevalsverein. Auch der Club der Werktätigen, wenn man so will der Vorgänger des heutigen Heimatvereins, hatte maßgeblichen Anteil an einem Gefühl der Zufriedenheit, das man heute nicht mehr so einfach auf der Straße findet, „obwohl es nach der Wende doch besser werden sollte", wie Weißbart feststellt. Der Ortsbürgermeister macht das vor allem an der vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit und dem damit verbundenen fehlenden Geld der Bürger fest.

Heute mühen sich neben den genannten Vereinen auch die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr, die Schützen, der Förderkreis Kirche St. Stephani und die Geflügelzüchter mit verschiedenen Veranstaltungen die Cochstedter aus ihrer Ruhe zu holen, die eigentlich die meiste Zeit im Ort herrscht. „Viele machen hinter verschlossenen Türen ihr eigenes Ding", sagt Weißbart. Das hat auch Dana Brüggemann beobachtet. Dennoch mag sie das Leben im Hakelschatten. „Es ist alles nicht so anonym wie in der Stadt. Es gibt eine große Hilfsbereitschaft", sagt die 30-Jährige, die fast ihr ganzes Leben in Cochstedt wohnt. Die bald zweifache Mutter erlebt seit jeher auch eine außergewöhnliche Kinderfreundlichkeit. „Hier lernen die Kinder unbeschwert, mit allen Generationen zu leben."

Mit den Nachteilen des Landlebens hat sie sich dagegen arrangiert. Ebenso wie Ortsbürgermeister Weißbart, der sagt: „Ich will hier nicht mehr weg." Was allerdings auch daran liegen dürfte, dass Weißbart, 1974 als junger Mann nach Cochstedt gekommen, um als Landmaschinen- und Traktorenschlosser zu arbeiten, nicht nur ein eigenes Grundstück hat, sondern allein als Ortsbürgermeister und Sportvereinsvorsitzender gesellschaftlich so tief verankert ist wie kaum ein anderer. (mz)