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«Andere sind schlimmer dran. Mir geht's vergleichsweise gut.»

Von SUSANNE THON 19.02.2010, 21:54

ASCHERSLEBEN/MZ. - In Aschersleben, Schönebeck, Halle, Hildesheim, eben überall dort, "wo sich etwas ergeben hat". "Loveparade" in Athensleben, die Erinnerungen daran sind lebhaft, als habe sie erst am Freitag stattgefunden. Keine Feier ohne Kurt Pape. Er tanzt auf allen Hochzeiten, der Mann mit dem auffälligen silbernen Autobus, der Mann mit der mobilen Discothek, der Mann mit den flotten Sprüchen auf den Lippen. DJ, Moderator, Alleinunterhalter. Wo er hin kommt, steppt der Bär, geht die Post ab, ist er gern gesehen, jeder kennt ihn.

"Ich war überall dabei, 30 Jahre lang habe ich Musik gemacht", sagt der Westdorfer. Bis sich sein Leben 2006 von einem auf den anderen Tag ändert. Diagnose Krebs im Unterkiefer. "Von heute auf morgen musste ich das alles aufgeben", bedauert Pape noch vier Jahre später. Er, dessen Herz immer für die Musik geschlagen hat. Er, der seit jeher Groß und Klein, Alt und Jung zum Tanzen und Lachen gebracht hat. Er, der Spaßfaktor auf jeder Party. Ihm bleibt nichts, als alle Termine abzusagen. "Ich habe 14 Tage lang nur geflennt", gibt der 52-Jährige unumwunden zu. Und dann erst mal ganz schnell Abstand genommen von seiner geliebten Musik: "Innerhalb von vier Wochen war alles verkauft."

Was folgt, ist ein Krankenhausaufenthalt nach dem anderen, Operation um Operation, "auf, zu, auf, zu, Titanplatte rein, Titanplatte raus ..." Der Krebs breitet sich weiter aus. Ein Schock. In Aschersleben spricht sich rum, dass "der Kurti krank ist, Bestrahlung bekommt und nicht mehr lange macht". "Als ich die ersten Male im Krankenhaus war und danach nach Hause kam, hatte ich überraschend viel Besuch", erzählt er. "Alle sind gekommen, nur um mich zu sehen, von weit her, und dabei hatte ich doch gar keinen Geburtstag." Pape macht sich Gedanken, "nicht umsonst besuchen mich so viele. Das muss einen Grund haben. War's etwa das letzte Mal?", fragt er sich. "Ich habe angenommen, es handelt sich um den Ernstfall. Dass es nicht so war, wusste ich nicht." Doch Pape gibt nicht auf - in einer Situation, in der vielen wohl danach ist. Er glaubt an sich, an die Wissenschaft und die Ärzte. Sein Unterkiefer wird erst teils, dann ganz entfernt und aus dem Wadenbein komplett rekonstruiert. Oktober 2009: Pape liegt in Oldenburg weit weg von Familie und Freunden - seiner großen Stütze - in einer Klinik ohne Seelsorger. "Ich bin dem Tod zwei Mal von der Schippe gesprungen, habe etliche Male auf Intensivstationen gelegen und konnte nicht mal aua sagen." Alles muss neu erlernt werden - das Sprechen, das Laufen. Pape schafft's, kann sogar wieder Auto fahren, wird aber nach wie vor künstlich ernährt. "Es wäre schon erledigt, aber die wochenlangen Bestrahlungen haben das Gewebe angegriffen", produziert er keinen Speichel. "Ich habe seit Jahren kein Brot gegessen, keine Brötchen. Ich kenne den Geschmack nicht mehr. Es ist ja nicht so, dass ich nicht essen will, ich kann es nicht", so Pape. Er hat abgenommen, 13 Kilo. Und hin und wieder fällt ihm das Sprechen noch schwer.

Trotzdem: Trübsal blasen? Das macht er nicht. "Andere sind doch schlimmer dran als ich, haben ganz andere Behinderungen. Da geht's mir doch vergleichsweise gut", legt er eine Einstellung an den Tag, die ihresgleichen sucht. Sie ermutigt. Pape lässt sich von nichts und niemandem unterkriegen, "das Leben geht weiter. Es bringt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken und sich hängen zu lassen", meldet er sich optimistisch zurück. Beim Karnevalsumzug fährt er im Tross durch die Stadt, macht Stimmung, wie früher. Nun, nicht ganz, entschuldigt er sich fast dafür, dass es mit dem Moderieren noch nicht so klappt. "Ich habe das wirklich gern gemacht. Es fehlt mir dermaßen." Aber die Ascherslebener freuen sich, ihn wieder zu sehen, schunkeln, winken ihm zu. Das baut auf, das gibt Kraft. Voller Stolz und mit leuchtenden Augen zeigt er Fotos vom letzten Sonntag und von weit zurückliegenden Veranstaltungen. Die hat er immer dabei, verbildlichen sie doch sein Leben. Erinnerungen sind Balsam für die Seele, aber Pape schaut nach vorn, plant ein Straßenfest in Westdorf, ein "kleines Ziel", das er sich gesteckt hat. Für den Anfang. "Wenn ich wohlauf bin, dann kommt Kurt wieder..." Kommentar, Seite 10