1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Aschersleben
  6. >
  7. Alles durcheinander gewirbelt: Alles durcheinander gewirbelt: Wie Sachsen-Anhalts Schüler das Corona-Abi erlebt haben

Alles durcheinander gewirbelt Alles durcheinander gewirbelt: Wie Sachsen-Anhalts Schüler das Corona-Abi erlebt haben

Von Max Hunger 14.07.2020, 08:00
Lehrer Axel Notroff und seine Klasse im Gymnasium Stephaneum in Aschersleben.
Lehrer Axel Notroff und seine Klasse im Gymnasium Stephaneum in Aschersleben. Frank Gehrmann

Aschersleben - Schon das Datum ließ nichts Gutes erahnen: Es ist Freitag der 13. März, als die Schüler des Stephaneums in Aschersleben (Salzlandkreis) zum letzten Mal in ihrem Leben für eine Unterrichtsstunde die Schulbank drücken. „Das hat sich damals keiner von uns vorstellen können, wir haben noch Witze darüber gemacht“, sagt Abiturientin Frieda Schreiber.

Doch am Montag danach ist das Gymnasium dicht - die Pandemie hat Sachsen-Anhalt zu diesem Zeitpunkt endgültig erfasst. Für die 19 Mädchen und Jungen der zwölften Klasse ist das ein Schock. Denn in einigen Wochen stehen ihre Abiturprüfungen an.

Vorher gilt es noch Klausuren zu schreiben, Prüfungsstoff zu pauken, den Abiball vorzubereiten. Wie soll das gehen, wenn die Schule geschlossen ist? „Wir mussten sehr schnell andere Wege finden“, bestätigt Tutor Axel Notroff.

Abitur trotz Corona - Wahl zwischen zwei Terminen

6.400 Abiturprüflinge und 8.000 Realschüler sind nach Angaben des Bildungsministeriums in Magdeburg im Mai zu den Abschlussklausuren in Sachsen-Anhalt angetreten. Um den Schulabschluss trotz Pandemie möglich zu machen, erließ Bildungsminister Marco Tullner (CDU) einige Neuregelungen: So wurde der Prüfungsbeginn nach hinten verschoben, um den Schülern mehr Vorbereitungszeit einzuräumen.

Die Abiturienten hatten zusätzlich die Wahl zwischen zwei Prüfungsetappen im Abstand von einem Monat. Laut Ministerium wählten jedoch knapp 90 Prozent der Schüler den früheren Termin. „Mit zwei Prüfungsdurchläufen haben wir allen die Möglichkeit gegeben, der Situation Rechnung zu tragen“ sagte Tullner.

Die Klausuren sind mittlerweile schon seit lange geschrieben. Endgültige Ergebnisse für das Land gibt es bisher noch nicht. Am Stephaneum in Aschersleben haben laut Schulleitung 102 Schüler in diesem Jahr die Abschlussarbeiten geschrieben.

Corona-Abitur: Noten in Aschersleben völlig normal

Nach einer vorläufiger Auswertung sind die Ergebnisse hier unauffällig: Zwei Schüler fielen durch, drei bekamen die Bestnote 1,0 - ein normales Ergebnis. „Die Situation hat die Schüler aber auf jeden Fall beeinflusst - den einen eben mehr, den anderen weniger“, sagt Schulleiter Klaus Winter.

Denn die Absolventen aus Aschersleben blicken auf eine turbulente Zeit zurück: Seit Mitte März mussten sie Unterricht und Abi-Vorbereitung gemeinsam mit ihren Lehrern über das Internet organisieren. Es wurden Arbeitsblätter per Email verschickt, Aufgaben in Videokonferenzen besprochen und sogar eine Geschichtsklausur geschrieben.

Dafür bekamen sie die Arbeit per Mail zugeschickt und hatten dann 90 Minuten Zeit, die Fragen schriftlich zu beantworten. Spicken sei so natürlich möglich gewesen, räumt Geschichtslehrer Axel Notroff ein - aber auch sinnlos. Bei den Aufgaben ginge es schließlich nicht um Faktenwissen, sondern um Analysen.

Abitur trotz Corona - Prüfungsvorbereitung anders als gedacht

Auch den Stoff für die Abschlussprüfungen schickten die Lehrer ihren Schützlingen per Email zu. „Wir haben von jedem quasi ein Fresspaket bekommen“, berichtet Abiturient Simon Mersdorf. Viel Stoff, viel Zeit, viel Selbstorganisation - für viele eine schwierige Situation.

Zwar waren Fragen an die Lehrer möglich, oft aber nur über Email oder Textnachrichten. Manchmal sei die Antwort sofort gekommen, manchmal erst nach Tagen - das hänge ganz vom Lehrer ab, berichten die Abiturienten. „In den letzten Wochen fand ich das extrem stressig“, erinnert sich Celine Freisleben.

Aber das Homeschooling hatte auch Vorteile, finden die Schüler: Weil sie nicht im Unterricht sitzen mussten, konnten sie ihr Lernpensum je nach eigenen Schwächen auf die Fächer selbst anpassen. „Das ist das einzig Positive daran“, sagt Frieda.

Abitur und Corona - Technik OK - Internet nicht immer

Der oft beklagten technischen Ausstattung der Schulen stellen die Stephaneer indes ein gutes Zeugnis aus: Das schuleigene Emailprogramm habe gut funktioniert, lediglich bei der Online-Klausur hatte eine Schülerin Probleme beim Zurücksenden. Der Grund: Die Internetverbindung in ihrem Heimatdorf wollte nicht mitspielen.

Doch auch diese Hürde wurde mit Geduld genommen. „Da muss man als Lehrer einfach flexibel sein und mit Augenmaß rangehen“, sagt Lehrer Notroff. Simon bilanziert: „Das meiste hat nichts mit Digitalisierung zu tun, sondern mit Absprache. Wir hätten deutlich schlechter aufgestellt sein können.“

Ihre Abi-Prüfungen haben 17 der 19 Gymnasiasten bereits erfolgreich hinter sich gebracht. Nur zwei aus der Klasse haben sich für den späteren Termin entschieden. Die Klausuren seien unter fast normalen Bedingungen abgelaufen, erzählen die Schüler. Auf jedem Tisch hätten zwar Masken gelegen - das Aufsetzen war jedoch freiwillig.

Um auch beim Schreiben den Sicherheitsabstand einhalten zu können, wurden die Prüfungen teilweise in größere Hallen in der Stadt verlegt. „Das war schon irgendwie cool. Ich hatte das Gefühl, es geht um etwas wirklich Wichtiges“, erzählt Luca.

Corona-Abitur - Klausurpläne waren höchst umstritten

Die Klausur-Pläne des Bildungsministers waren zuvor jedoch heftig umstritten: So forderte die Bildungsgewerkschaft GEW, auf die Abschlussprüfungen gleich ganz zu verzichten. Stattdessen sollten Zeugnisse auf Grundlage der bisherigen Noten berechnet werden.

In Hamburg starteten Schüler eine Petition mit bis heute über 150.000 Unterzeichnern, um das Abi 2020 zu verhindern. Ihre Argumentation: Weil die Umstände bei der digitalen Betreuung und der Lernsituation zuhause sehr unterschiedlich seien, könne es keine Vergleichbarkeit bei den Abi-Noten untereinander und zu anderen Jahrgängen geben.

„Natürlich ist dieser Jahrgang benachteiligt“, räumt auch Lehrer Notroff ein. Aber: Die Vorbereitung für das Abitur fange nicht erst wenige Wochen vor den Prüfungen an, sondern anderthalb Jahre zuvor im Unterricht.

Notroff blickt dennoch mit besonderem Stolz auf seine Schützlinge. Die Situation habe den Schülern mehr Selbstorganisation abverlangt als anderen Jahrgängen, sagt der Lehrer. Damit hätten sie wichtige Fähigkeiten unter Beweis gestellt - etwa für ein Studium. „Sie haben ihr Reifezeugnis definitiv verdient.“

War das Corona-Abitur eine krasse Benachteiligung?

Die Voraussetzungen seien besondere gewesen, finden auch die Schüler. Eine krasse Benachteiligung sehen die meisten aber darin nicht. „Das ist doch alles viel heiße Luft um nichts“, sagt Luca mit Blick auf die Petition. Klar, die Situation sei ungewöhnlich, aber wer wollte, habe sich damit arrangieren können.

Für die Infektionsschutzmaßnahmen - zu denen auch die Schulschließungen gehören - zeigen ausnahmslos alle Schüler der Klasse Verständnis. Das Handeln der Regierung sei verhältnismäßig gewesen, finden sie. „Das ist unser Beitrag dafür, dass es nicht noch schlimmer wird“, sagt Simon.

Schaut man heute in die Gesichter der 18-jährigen Absolventen, strahlen Ausgelassenheit und auch etwas Stolz aus ihren aufgeweckten Augen. Schließlich haben sie ein wichtiges Kapitel in ihrem Leben abgeschlossen - ein besonderes Gefühl. Was die Schülern aus Aschersleben aber bedauern: Ausgelassen feiern können sie diese Landmarke ihres Lebensweges nicht.

Abitur unter Corona-Bedingungen - die Feiern fallen erst einmal aus

Ein Abi-Ball ist für Anfang September zwar geplant, tanzen ist dort aber verboten. Immer noch gelten strenge Auflagen für Veranstaltungen. „Es wird eher ein Maskenball statt ein Abiball“, stellt Luca fest. Auch zur Zeugnisübergabe darf jeweils nur eine Klasse erscheinen. Ein pompöser Abschied mit der Schulgemeinde und Familien? Fehlanzeige.

Das haben sich die Abiturienten anders vorgestellt. „Wir sind der langweiligste Jahrgang überhaupt“, bilanziert Frieda. Und bei einem sind sich alle einig: Nachholen wollen und können sie die Abschlussparty nicht einfach so. Der unbeschwerte Geist dieser Zeit lässt sich eben nicht ein paar Monate später neu entfachen. Simon zieht ein ernüchterndes Fazit: „Wir kriegen diese Zeit nie wieder zurück.“ (mz)