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Zur Geschichte der Händel-Pflege in Halle Zur Geschichte der Händel-Pflege in Halle: Vom Weltbürger zum Edelgermanen

Von Johannes Killyen 27.04.2001, 19:33

Halle/MZ. - Im kriegsgebeutelten Deutschlandder 20-er Jahre konnten im Musiktheater Werkebesichtigt werden, die so ziemlich allem widersprachen,was Oper bis dahin ausgemacht hatte. KeinWagnerscher Melodiefluss, keine Instrumentationsorgienvon Strauss'schem Format, sondern "Schlichtheit,Wahrheit und Gefühlstiefe" (R. Graefenhain).Die Rede ist von Händels Opern. Noch zu Anfangdes 20. Jahrhunderts völlig vergessen, kamensie Mitte der 20-er Jahre schlagartig in Mode.

Dabei spricht einiges dafür, dass HändelsOpern am Anfang weniger um ihrer selbst geliebtwurden, sondern vielmehr von der Abneigunggegen Wagner profitierten. Das schwerblütigeDrama hatte sich als alleingültige Form überlebt.Gesucht wurden Werke voll Leichtigkeit undTransparenz, die der vielgestaltigen Zeitzwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeitangemessener schienen. Händels Opern wareneine Alternative zu Wagner.

1920 gilt als das Jahr Eins der HändelschenOpernrenaissance. Es war das Jahr, in demOskar Hagen und Hanns Niedecken-Gebhardt inGöttingen eine expressionistisch inszenierte"Rodelinda" auf die Bühne brachten. Beidewaren Schüler des halleschen MusikwissenschaftlersHermann Abert, der sie für Barockmusik begeisterthatte. Deshalb ist es wenig verwunderlich,dass die Händel-Bewegung auch der Stadt Hallezwei Jahre später mit "Orlando furioso" dieerste Oper bescherte.

Freilich traute man den Originalfassungennoch viel weniger als bei den Oratorien. Dawurden Rezitative gestrichen oder umgeschrieben,Arien getilgt oder ihrer essentiellen Schlusswiederholungberaubt, von schwülstigen Übersetzungen ganzzu schweigen. Lange noch war der Versuch spürbar,die von Wagners Musikdrama gewohnte Handlungskontinuitätauch auf Händel zu übertragen, dessen Ariensich ja gerade durch zeitlichen Stillstandauszeichnen. Dass Händel als einer der Erstender statuarischen Barockoper eine stringenteDramaturgie und individuelle Züge verliehenhatte, konnte man 1920 mangels Vergleichennicht wissen.

Händels "Orlando" kam also zum Händel-Fest1922 in der Bearbeitung von Hans Joachim Moserauf eine neo-antike Bühne und provozierteebenso viel Zustimmung wie Ablehnung. Manstritt über die Repertoirefähigkeit der HändelschenOpern. Daneben erklangen die Oratorien "Semele"und "Susanna", aufgeführt von der Robert-Franz-Singakademieunter Alfred Rahlwes. Die "Susanna" hatteder Ordinarius für Musikwissenschaft ArnoldSchering bearbeitet.

Noch vor dem Händel-Fest, nämlich 1918, hattesich in Halle ein Händel-Verein gegründet,in Leipzig folgte 1925 eine Händel-Gesellschaft.Nach 1922 lief die hallesche Händel-Pflegevorerst in ihren gewohnten Oratoriums-Bahnenweiter. Sie konnte 1925 mit "Rodelinda" dienächste Oper präsentieren, musste beim Händel-Fest1929 der Weltwirtschaftskrise jedoch Tributzollen: Die Zuschauer blieben weg. Erwähnenswertauch das Arbeiter-Händel-Fest 1926 in Leipzig.Das große Händel-Bach-Schütz-Jahr 1935 begannmit einem Reichs-Händelfest in Halle, dembis 1944 jährliche Händel-Tage folgten. Nazi-Deutschlandkümmerte sich um Händel, auch um seine Opern.

Freilich mit ideologischem Ziel: Händel wurdezum musikalischen Edelgermanen stilisiert,der England mit deutschem Kunstwollen durchsetzthabe. Unbequeme Oratorien mit alttestamentarischemInhalt wurden kurzerhand umtextiert und umbenannt."Israel in Ägypten" hieß ideologisch bereinigt"Opfersieg bei Walstatt", aus "Josua" wurdendie "Ostlandfahrer". Vereinzelte Bemühungen,mit englischen Händel-Forschern zu kooperieren,sollten bald mit Bomben begraben werden. BerühmtesterTräger der Händel-Plakette in Silber war AdolfHitler.